Nvidias Börsen-Blitz: Wer ist der Mann, der den Chiphersteller zum wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht hat?
Nvidia hat gestern an der Börse Microsoft und Apple hinter sich gelassen. Hinter dem Aufstieg steht der Gründer und CEO Jensen Huang. Der Mann in Lederjacke und mit Nvidia-Tattoo hat schon früh auf die KI-Revolution gesetzt.
Jensen Huang, 61 Jahre, trägt in der Öffentlichkeit immer eine schwarze Lederjacke.
Ritchie B. Tongo / EPA
Jensen Huang hätte nicht nur Unternehmer sein können, sondern auch Entertainer werden können. So scheint es jedenfalls, als er Anfang März auf der Bühne eines Eventzentrums in San Jose über die neusten Erfindungen seiner Firma spricht. Denn Huang, wie immer in einer schwarzen Lederjacke, witzelt herum: Ein Spässchen hier, ein selbstironischer Kommentar da, die 10.000 Zuschauer – Reporter, Analytiker und Firmenvertreter – johlen und klatschen. Huang scheint mit Humor zu behaupten, dass seine Firma derzeit einen gigantischen Erfolg verzeichnet.
Er sei „der Mann der Stunde, des Jahres, vielleicht auch des Jahrzehnts“, schrieb das Tech-Magazin „Wired“ jüngst. Und tatsächlich klettert seine Firma vom KI-Boom, wie sonst kaum eine andere. Nach einem schnellen Wachstum in den letzten Monaten hat der Börsenwert von Nvidia Anfang Juni die Grenze von 3 Milliarden Dollar durchbrochen. Nvidia ist erst die dritte Firma weltweit, die dies schafft.
Wenn künstliche Intelligenz die Dampflok des 21. Jahrhunderts ist, dann liefern Nvidias Computerchips den Brennstoff für diese Dampflok. Denn das Training von KI-Modellen erfordert zehntausende hochspezialisierte Chips – sogenannte Grafikprozessoren –, die es möglich machen, mehrere Berechnungen zur gleichen Zeit auszuführen.
Fast alle dieser Chips stammen aus dem Haus Nvidia. Sie sind seit Monaten ausverkauft, trotz Stückpreisen von 25.000 Dollar und mehr. Meta prahlte jüngst damit, dass man bis Ende Jahr über 340.000 Stück verfügen werde. Wie viele Nvidia-Chips eine Firma besitzt, ist eine Messeinheit für ihr KI-Vermögen geworden. Ohne die Chips gäbe es kein Chat-GPT, keine Sprachmodelle, keine KI-Revolution.
Dass Nvidia derart gut für den KI-Boom positioniert ist, ist Huang zu verdanken. Lange bevor Begriffe wie „generative KI“ in aller Munde waren, bewies er einen verblüffenden Weitblick und setzte sein Lebenswerk auf die KI-Karte. Die Wette geht auf, auch für ihn persönlich: Bloomberg schätzt sein Vermögen auf 110 Milliarden Dollar. Es war eine riskante Strategie – und höchstens das erste Mal, dass Huang einen gewagten Weg einschlug.
Als Teenager gemobbt
1963 in Taiwan geboren, zog Jen-hsun «Jensen» Huang als Fünfjähriger mit seinen Eltern nach Thailand. Als er neun war, schickten ihn die Eltern gemeinsam mit seinem älteren Bruder in die USA – zunächst zu einem Onkel im Bundesstaat Washington, dann auf ein Internat in Kentucky, das sich als Disziplinareinrichtung für verhaltensauffällige Jugendliche entpuppte.
Huang war das perfekte Mobbingopfer: ein schmächtiger asiatischer Junge mit langem Haar und starkem Akzent. „Damals gab es keinen Schultherapeuten, mit dem man hätte reden können. „Man musste sich abhärten und einfach weitermachen“, erzählte Huang dem „New Yorker“.
Huang passte sich an: Er brachte seinem Zimmernachbarn das Lesen bei und der ihm das Bankdrücken. Um Geld zu verdienen, reinigte Huang die Toiletten der Schule. In Kentucky habe er gelernt, was Resilienz bedeute, sagt er rückblickend.
Huangs Eltern konnten ihren Söhnen schließlich in die USA folgen, die Familie liegt in Oregon nieder. Huang war ein herausragender Schüler: Er übersprang zwei Klassen, gehörte den Mathe-, Computer- und Naturwissenschaftenklubs und spielte Tischtennis auf Landesebene. Mit 16 Jahren begann er sein Studium der Elektroingenieurwissenschaften an der staatlichen Universität Oregons.
Dort lernte er auch seine spätere Frau kennen, mit der er zwei Kinder bekam. Die beiden zogen ins Herz des Silicon Valley nach San Jose und arbeiteten als Designer für Mikrochips. Huang setzte kurz darauf ein Masterstudium in Stanford obendrauf.
Der erste Firmensitz war in einer Burgerbude
1993 gründete er mit zwei älteren Kollegen ein Startup für Mikrochips. Als inoffiziellen Firmensitz wählen Sie eine lokale Filiale der Burgerbude Denny’s. Der Kaffee ist billig gewesen und es ist ruhiger gewesen als zu Hause, so verkündet Huang die Wahl. Außerdem fühlte er sich mit der Fast-Food-Kette verbunden, weil er als Teenager in einer Filiale in Oregon gearbeitet hatte.
Eigentlich wollten die drei ihre Firma NVision nennen, doch einen ähnlichen Namen hatte sich ein Toilettenpapierhersteller bereits gesichert. Huang schlug Nvidia vor, in Anlehnung an das lateinische Wort für Neid – schließlich wollte man die Konkurrenz vor Neid erblassen lassen. Der 30-jährige Huang sollte in die Rolle des CEO schlüpfen. „Er lernte schon immer sehr schnell“, sagte Nvidia-Mitgründer Chris Malachowsky über ihn.
Huang wollte Videospiele bauen und eine Marktnische für Nvidia schaffen, indem er Chips für bessere Grafikdarstellungen für Gamer entwickeln würde. Die Firma schafft dafür eine neue Kategorie von Halbleitern, sogenannte Grafikprozessoren oder GPU.
Offizielles Firmenmotto: «30 Tage vom Konkurs entfernt»
Dabei fiel den Gründern allerdings gleich ein Fehlentscheid, der sie fast in den Konkurs getrieben hätte: Nvidia stärkte seine Grafikkarten darauf, dass Objekte in Computerspielen aus vielen kleinen Quadraten zusammengesetzt würden. Die meisten anderen Firmen verwendeten für die Darstellung aber schon damals das Dreieckformat. Das ist heute am effizientesten für die Berechnung der Farbe der einzelnen Pixel.
Objekte in Computerspielen scheinen sich durch einen virtuellen Raum zu bewegen. Für die Berechnung des Farbverlaufs auf dem Bildschirm wird das Bild in kleine Dreiecke aufgeteilt.
Huang und seine Kollegen waren überzeugt, dass es einfacher wäre, mit Quadraten zu arbeiten. Das erwies sich als strategischer Fehler, unter anderem, weil Microsoft kurz danach ankündigte, dass seine Grafiksoftware nur noch Dreiecke unterstützen werde.
Nvidia kehrte zurück, teilte die Hälfte seiner Belegschaft mit und brachte ein Produkt auf den Markt, bei dem Huang nicht sicher war, ob es überhaupt funktionieren würde. Doch seine Wette geht auf. Seit jenen Jahren lautet das inoffizielle Firmenmotto: «Unsere Firma ist 30 Tage vom Bankrott entfernt.»
Auch für Deep Learning nützen GPU
Nvidias Grafikkarten wurden in den folgenden Jahren nicht nur bei Gamern immer beliebter, sondern auch bei Wissenschaftlern eines neuen Forschungsbereichs: des Deep Learning, einer Unterform der künstlichen Intelligenz. Die Tatsache, dass Nvidias Grafikkartenaufgaben parallel statt nacheinander ausführen, erwies sich als ideal für die Bedürfnisse der Deep-Learning-Spezialisten. Im Jahr 2012 trainierten Forscher erstmals ein Bilderkennungssystem namens Alexnet mit Nvidias GPUs. Die Ergebnisse waren verblüffend gut.
Auch Huang war begehrt. Er entschied, dass Nvidia sich den Bedürfnissen des Deep Learning anpassen muss. „Am Freitagabend schickte er eine E-Mail raus und sagte: ‹Ab sofort verfolgen wir nur noch Deep Learning›, und dass wir nun keine Grafikfirma mehr sein sollten“, erzählte der langjährige Topmanager Greg Estes dem „New Yorker“. «Am Montag waren wir eine KI-Firma.»
Im Jahr 2016 fuhr Huang persönlich nach San Francisco, im Gepäck einen 30 Kilogramm schweren Supercomputer. Fünf Jahre lang hatte Nvidia einen sogenannten DGX-1 gebaut, der speziell auf die Bedürfnisse von Deep Learning zugeschnitten war. Huang führte zu einem damals unbekannten KI-Startup namens Open AI, dem er den ersten Prototyp schenken wollte. Bevor der damalige Chef von Open AI, Elon Musk, das Gerät entgegennahm, schrieb Huang auf den Deckel: „Auf die Zukunft des Computing und auf die Menschheit!“
Einige Bilder von Jensens Übergabe des ersten @Nvidia-KI-Systems an @OpenAI pic.twitter.com/gj4995BKSn
– Elon Musk (@elonmusk), 18. Februar 2024
Dies erwies sich als weiterer kluger Schachzug Huangs: Open AI blieb Nvidia in den nächsten Jahren treu. Als Ende Mai 2023 bekannt wurde, dass Chat-GPT auf Nvidia-Chips trainiert worden war, stieg Nvidias Börsenwert auf einen Schlag um 200 Milliarden Dollar.
Nvidias Firmenlogo ist auf seinen linken Oberarm tätowiert
Das macht Huang zu einem der erfolgreichsten Firmenchefs seiner Generation. Er ist auch einer der wenigen Gründer einer Big-Tech-Firma, die diese nach wie vor weiterleiten. Doch Nvidias Aufstieg und sein persönlicher Wohlstand sind für den 61-Jährigen kein Grund, sich allmählich aus dem Geschäftsalltag herauszuziehen – im Gegenteil.
Bis heute berichten 50 Topmanager direkt an ihn. Er war und ist das Gesicht der Firma. Als der Aktienkurs vor einigen Jahren erstmals 100 Dollar erreichte, tätowierte er sich das Firmenlogo auf dem linken Oberarm. Seine beiden Kinder arbeiten für den Konzern. Es scheint: Nvidia ist Jensen Huang, und Jensen Huang ist Nvidia.
Privat lebe Huang, nachdem er vorwiegend in San Jose, wo er das «Wall Street Journal» schreibt, eine Viertelstunde vom Firmensitz entfernt. Das ist ein ziemlich schweres Stück. Die Außenflächen bestehen aus verspiegelten Glasplatten in Dreiecksform, eine Anspielung an die Grafikprozessoren. Auch im Inneren entdeckt der Besucher schnell Dreiecksmuster im Boden und an den Decken, die Wände sind mit Holz verkleidet und mit Sukkulenten bepflanzt.
Huang streifen regelmäßig durch die Gänge und überrascht Mitarbeiter an ihren Schreibtisch mit Fragen zu ihrer Arbeit. Was er nicht ausstehen konnte, so hört man immer wieder, sei es Gelaber. „Fake it till you make it“ mag ein Leitspruch im Silicon Valley sein – Huang hasst jedoch Substanzlosigkeit. Er selbst kann sich jedes Thema übers Wochenende beibringen, sagte Nvidias Softwarechef Dwight Diercks einmal.
Doch Huang ist auch für seinen Humor bekannt, erzählt der Mitarbeiter Jack Dahlgren bei einer Führung durch das Gebäude. «Er testet seine Witze zunächst an uns, bevor er sie auf die große Bühne bringt.» Dahlgren arbeitet seit fast 13 Jahren für Nvidia. Auch Gespräche mit anderen Mitarbeitern zeigen verblüffend lange Maßstäbe zum Konzern. Schon lange vor dem jetzigen KI-Boom belegte Nvidia Spitzenplätze in Umfragen zu den beliebtesten Arbeitgebern des Landes.
Ein Grund könnte sein, dass Huang eine positive Fehlerkultur aufgebaut hat: „Intellektuelle Ehrlichkeit“ nannte er die Idee 2011 bei einem Vortrag vor Studenten seiner Alma Mater Stanford. Auch Versagen werden geteilt.
Wie dies aussieht, zeigte sich Anfang der 2000er Jahre: Nvidia brachte eine fehlerhafte Grafikkarte auf den Markt – die Lüftung war viel zu laut, viele Kunden verärgert. Andere CEOs hätten die verantwortlichen Manager dafür vermutlich entlastet, nicht so Huang: Er bat sie, die Entscheidungsprozesse, die zu der Debatte geführt hatten, vor anderen Führungskräften zu erklären. Nach außen bewies Nvidia eine Portion Selbstironie und produzierte ein Video, in dem es die Grafikkarte mit einem Haarföhn und einem Zahnbohrer vereint.
In seinem Geburtsland Taiwan wird Huang inzwischen als Pop-Star gefeiert. Bei einem Besuch in Taipeh warten jüngst Tausende Fans im strömenden Regen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Eine Frau lächelt, während sie sich von ihm das Dekolleté signiert, andere hält ein Poster in der Höhe mit Huangs Gesicht und dem Aufdruck «Taiwan loves you».
Huang wird bei einem Besuch in seiner Heimat Taiwan als Pop-Star gefeiert.
Ann Wang / Reuters
Doch auch wenn Nvidias Höhenflug an den Börsen kein Ende zu kennen scheint, muss es technisch so weitergehen. Der Konzern hat ein enormes Klumpenrisiko: Google, Amazon, Meta und Microsoft machen schnell 40 Prozent von Nvidias Umsatz aus. Gleichzeitig investieren alle vier eifrig darin, selbst Computerchips herzustellen n zu können und unabhängig von Nvidia zu werden.
Auf der Bühne in San Jose präsentiert Huang lieber nicht über diese Vorteile, sondern über die goldene Zukunft der KI: über KI-Fabriken, über humanoide Roboter, sogar: «Der Chat-GPT-Moment für Roboter ist um die Ecke», glaubt er . Es wirkt, als würde Huang allen Zweiflern sagen: Auch nach 30 Jahren steht Nvidia erst am Anfang.