Big-Tech-Firmen versprechen das eine, tun aber das andere. Die Verlage müssen jetzt Leitplanken für eine gesunde Medienwelt setzen
Den Entwicklern der künstlichen Intelligenz ist nicht zu trauen, sie begehen gezielt Urheberrechtsverletzungen.
Technologie-Startups beginnen oft mit einer großen Idee, die Welt zu verändern. Facebook wollte einst einsame Collegestudenten vernetzen. Bald erweiterte sich die Nutzerbasis von Universitäten auf die ganze Welt. Google schrieb den Slogan „Sei nicht böse“ auf seine Fahne und setzte sich das Ziel, das gesamte menschliche Wissen zu vernetzen. Microsoft wollte Computer zu unentbehrlichen Arbeitswerkzeugen machen. Die Geräte sollten das Leben aller Menschen, egal ob reich oder arm, erleichtern.
Heute aber haben Meta (Facebook), Alphabet (Google) oder Microsoft ihre idealistischen Ziele zurückgestellt. Sie sind zu normalen amerikanischen Unternehmen geworden, die sich auf Quartalsabschlüsse konzentrieren.
Das einzig Ungewöhnliche sind die enormen Renditen und Umsätze. 2022 erzielten Meta, Alphabet, Microsoft, Apple und Amazon zusammen 2,5 Milliarden US-Dollar Umsatz. Nur sieben Länder weltweit haben ein höheres Bruttoinlandprodukt.
Konzentration auf Gewinnziele
Grundsätzlich ist es am Streben nach Umsatz und Profit nichts auszusetzen. Es hat diesem Unternehmen ermöglicht, ständig neue Innovationen zu schaffen. Zur Aufrechterhaltung der Konkurrenzfähigkeit ist Profitstreben eben meist nachhaltiger als eine oft diffuse Vision, die Welt zu retten.
Problematisch wird es allerdings, wenn Unternehmen beginnen, Gesetze zu biegen und Abmachungen zu brechen. Genau das passiert im Wettlauf um die beste künstliche Intelligenz.
Nach dem Start von Chat-GPT Ende 2022 wurde klar, dass sich Open AI in einer urheberrechtlichen Grauzone bewegte. Open AI, mittlerweile mehrheitlich im Besitz von Microsoft, nutzt große Datenmengen aus dem Datensatz einer Nichtregierungsorganisation, der riesige Teile des Internets abbildet. Diese Daten dürfen nach US-Recht nur für Forschungs- und Bildungszwecke verwendet werden.
Nach dem Erfolg rückte der Profit in den Fokus
Open AI agierte lange selbst als Non-Profit-Organisation und trainierte seine Modelle mit diesen Daten. Doch nach dem Starterfolg von Chat-GPT rückte der Profit in den Mittelpunkt. Allein in den USA hat der KI-Dienst heute knapp vier Millionen zahlende Kunden.
Die «New York Times» reagierte als Erste auf die unrechtmässige Nutzung ihrer Texte. Sie wies darauf hin, dass Open AI ihre urheberrechtlich geschützten Inhalte besonders intensiv genutzt hatte. Die entsprechende Klage ist noch anhängig.
Open AI und Microsoft haben in der Zwischenzeit angekündigt, urheberrechtlich geschützte Inhalte nicht mehr zu verwenden. Doch ob sie das wirklich ernst meint, ist zweifelhaft. Denn der Datenhunger von Big Tech ist ungebrochen.
Dass es Big Tech mit dem Urheberrecht nicht so genau nimmt, beweist der Dienst Perplexity, eine Mischung aus Chatbot und Suchmaschine. Die KI spuckt derzeit regelmäßig Bruchstücke von NZZ-Artikeln aus, obwohl die NZZ ausdrücklich untersagt, dass ihre Inhalte ohne Erlaubnis zum Trainieren von KI-Modellen genutzt werden dürfen. Andere Medien haben ähnliche Erfahrungen mit Perplexity gemacht. Was sagen die Gründer von Perplexity dazu? Sie schweigen.
Selbst gegen Youtube-Richtlinien wird verstoßen
Es sind nicht nur kleinere Tech-Unternehmen wie Perplexity, die das Internet nachweislich als Selbstbedienungsladen betrachten. Eine Analyse der US-Plattform „Proof News“ ergab, dass Apple und Nvidia Zehntausende Youtube-Videos für KI-Modelle genutzt haben, ohne um Erlaubnis der Rechteinhaber zu fragen. Wie die BBC oder das «Wall Street Journal», die die Videos erstellt haben und die Rechte besitzen. Big Tech stellt sich auf den Standpunkt, die Daten seien doch öffentlich zugänglich. Obwohl das den Youtube-Richtlinien klar widerspricht. YouTube ist zum Schutz der Video-Inhalte nicht aktiv geworden. Das könnte damit zu tun haben, dass die Mutterfirma Alphabet beim Trainieren der eigenen Modelle genau gleich vorgeht.
Erstaunlich ist nur, dass mit der „New York Times“ erst ein größerer Medienverlag gegen Open AI und Microsoft geklagt hat. Acht kleinere US-Zeitungen und einige Onlineplattformen haben zwar in der Zwischenzeit nachgezogen. Doch das war’s schon.
Warum klagen nicht mehr Verlage? Was ist beispielsweise mit den Europäern?
Der Rechtsrahmen ist vorhanden. So hat die EU das KI-Gesetz überarbeitet. Sie gelten als klar, dass KI-Firmen urheberrechtlich geschützte Werke nur zu Forschungszwecken nutzen dürfen. Rechteinhaber können, wenn sie wollen, ihre Werke von jeglicher Nutzung ausschließen.
Auch die Schweizer Politik regt sich
Sogar die stets etwas Trägere Schweizer Politik regt sich. So hat die Schwyzer Ständerätin Petra Gössi den Bundesrat per Interpellation kürzlich dazu verurteilt, zu prüfen, ob der geltende Rechtsrahmen für Medienwerke in Zeiten der künstlichen Intelligenz ausreiche.
Worauf wird auch gewartet? Hoffentlich nicht darauf, dass der KI-Sturm vorüberzieht. Wie in den neunziger Jahren in Bezug auf das World Wide Web. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Leitplanken für eine gesunde Medienwelt zu setzen. Das ist für die Medienverlage nur mit dem Gang vor Gericht zu erreichen. Big Tech ist in dieser Frage nicht mehr zu trauen.