China schlägt im Chipkonflikt mit den USA zurück – und erlässt ein teilweises Verkaufsverbot gegen den US-Hersteller Micron
Erstmals hat die Cyberspace Administration of China gegen ein ausländisches Unternehmen ermittelt. Die Begründung des Verkaufsverbots erscheint angesichts der Vorgeschichte fragwürdig.
«Made in America»: Chiphersteller wie Micron, dessen CEO Sanjay Mehrotra im Oktober 2022 einer Rede von US-Präsident Biden beiwohnt, werden immer stärker in den Konflikt zwischen den USA und China hineingezogen.
Evelyn Hockstein / Reuters
Seit nunmehr drei Jahren erlassen die USA regelmäßig Chipsanktionen gegen China, zunächst gegen den Telekom-Konzern Huawei, schließlich gegen die gesamte chinesische Chipbranche, deren Fähigkeiten Washington auf einem älteren Technologieniveau einfrieren wird. Wie Peking bisher öffentlich darauf reagiert hat, hat viele Beobachter überrascht: Praktisch gar nicht, bis auf eine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO).
Diese Zurückhaltung hat Peking nun offenbar abgelegt. Der Regulator Cyberspace Administration of China teilte am Sonntag mit, dass der amerikanische Chiphersteller Micron keinen „Betreiber von nationaler kritischer Informationsinfrastruktur“ mehr glaubt. Solche Betreiber sind etwa in den Bereichen Telekommunikation, Verkehr, Energie oder Verteidigung tätig.
Weiter schrieb die Cyberspace Administration, eine Untersuchung von Micron-Produkten zur Netzwerksicherheit habe «relativ potenzielle potenzielle Probleme» ergeben. Das gefährde Chinas nationale Sicherheit.
Micron und China haben eine lange Vorgeschichte
Welche potenziellen Probleme es geben soll, teilt die Behörde nicht mit. Das und die Vorgeschichte des teilweisen Verkaufsverbots lassen Beobachter vermuten, dass es nicht nur um schwerwiegende Sicherheitsrisiken geht.
Die Cyberspace Administration ermittelte im Fall Micron, der größte amerikanische Hersteller von Speicherchips, erstmals gegen eine ausländische Firma. Laut der «Financial Times» antwortete Micron zu Beginn der Untersuchung im März die Fragen der Behörde und hörte dann erst am Sonntag zur Entscheidungsverkündung wieder von ihr.
Micron hat laut seiner Website in China drei Standorte, in Schanghai, Shenzhen und Xian. Die Firma betreibt eine Chipfabrik, macht Chipdesign sowie Marketing und Verkauf. Im Geschäftsjahr 2022 erzielte Micron rund 16 Prozent seines Umsatzes in Festlandchina und Hongkong. Das ist viel weniger als bei anderen ausländischen Chipfirmen, die typischerweise rund 30 Prozent ihres Umsatzes in China erzielen.
YMTC und Changxin sind Microns Konkurrenten
Micron sieht in China seit längerem seine Felle davonschwimmen. „Wir sind der Gefahr eines zunehmenden Wettbewerbs ausgesetzt“, schrieb Micron im Geschäftsbericht 2022 und verwies auf die „erheblichen Investitionen“ der chinesischen Regierung in die Halbleiterindustrie, insbesondere in die Speicherchiphersteller YMTC und Changxin.
Speicherchips stecken in jedem Handy und jedem Laptop, und sie sind auch in Datenzentren und Superrechnern unerlässlich. Sie bedürfen im Gegensatz zu sogenannten Logikchips, die etwa für künstliche Intelligenz und 5G verwendet werden, nicht unbedingt der allerneusten Fertigungstechnologie.
Deshalb sind Speicherchips für China ein attraktiver Markt, um trotz den US-Sanktionen die eigene Chipproduktion aufzubauen. Manche Experten warnen bereits davor, dass die USA und Europa bei ihrem Fokus auf Spitzentechnologie übersähen, dass China als einziges Land die Produktion von Speicherchips massiv ausbaue. Der Rest der Welt könnte auch von Speicherchips aus China abhängig sein.
Pikanterweise erwog China 2015 enthüllt, Micron zu kaufen. Der damals größte, staatliche Chiphersteller Tsinghua Group wollte laut Medienberichten satte 23 Milliarden US-Dollar bieten, doch Micron soll das Angebot mit Verweis auf ein wahrscheinliches Nein der US-Regierung abgelehnt haben. Ein Jahr später, 2016, gründete Tsinghua Microns heutigen Konkurrenten YMTC.
UMC stahl Microns geistiges Eigentum
China kam auf andere Weise an Micron-Technologie. Im Oktober 2020 gestand der taiwanische Chipfertiger UMC in den USA Geschäftsgeheimnisse von Micron gestohlen und an den staatlichen chinesischen Speicherchip-Anbieter Fujian Jinhua weitergegeben zu haben. Laut dem Schuldgeständnis stellte UMC drei ehemalige Micron-Mitarbeiter ein, um zusammen mit Fujian Jinhua sogenannte Dram-Speicherchips zu entwickeln. Einer der drei Ex-Micron-Mitarbeiter wurde später Chef von Fujian Jinhua.
Umgekehrt meldet Micron seit Jahren in seinen Geschäftsberichten Patentklagen von UMC und Jinhua in China. 2018 untersagte ein chinesisches Gericht Micron per einstweiliger Verfügung, 26 seiner Chip-Produkte in China zu verkaufen. Zumindest UMC habe nach einer Einigung mit Micron im November 2021 die Rücknahme seiner Klage beim Gericht beantragt, schreibt der US-Konzern in seinem Geschäftsbericht 2022.
Ein weiterer Satz dort zum China-Geschäft hat sich nun als prophetisch erwiesen: „Darüber hinaus könnte die chinesische Regierung uns daran behindern, am chinesischen Markt unterhalten, oder uns daran hindern, effektiv mit chinesischen Unternehmen zu konkurrieren.“
Südkorea rückt in den Fokus des Tech-Konflikts
Chinas Regierung ist nun offenbar zum Schluss gekommen, dass das Land auch weitgehend ohne Micron-Chips auskommen kann. Das Verkaufsverbot gegen Micron könnte auch Kunden, die keine Anbieter kritischer Infrastruktur sind, vor teilweise weiteren Käufen abschrecken. Mögliche Alternativen sind chinesische Speicherchiphersteller sowie Samsung und SK Hynix aus Südkorea.
Der Analyst John Lee von der Berliner Firma East West Futures Consulting geht deshalb davon aus, dass das Vorgehen gegen Micron ein doppeltes Vertrauen der chinesischen Behörden widerspiegelt: Vertrauen in die anhaltenden Fortschritte chinesischer Speicherchiphersteller. Und Vertrauen in die Bereitschaft der südkoreanischen Hersteller, trotz amerikanischem Druck weiterhin China zu believeern.