Drohnen haben den Krieg in der Ukraine revolutioniert, doch sie sind empfindlich auf Störsender – deshalb sollen sie jetzt autonom operieren
Neue Waffen rufen in der Kriegsgeschichte immer nach neuen Abwehrmitteln. Die rasante Entwicklung auf dem Gebiet der Drohnen ist ein gutes Beispiel dafür.
Moderne Kriege sind immer auch ein Laboratorium zur Weiterentwicklung der Waffentechnologie. Der Krieg in der Ukraine ist dabei keine Ausnahme. Im Gegenteil, das Bild des modernen Krieges hat sich dort in nur etwas mehr als zwei Jahren massiv verändert. Auf keinem Gebiet war dabei die Entwicklung so rasant wie bei den Drohnen.
Kleindrohnen als Game-Changer
Die massenhafte Verwendung von billigen Kleindrohnen – meist in der Form von handelsüblichen Quadrokoptern – hat die Kriegsführung revolutioniert. Sowohl die Ukrainer wie auch die Russen haben entlang der Front ständig Tausende von kleinen Aufklärungsdrohnen in der Luft, die in Echtzeit Aufnahmen übermitteln und zu einem Schlüsselinstrument zur Überwachung des Gefechtsfeldes geworden sind. Bewegungen des Gegners können so sehr schnell erkannt werden. Dies macht einen Überraschungsangriff schwierig, vorrückende Truppen können sofort bekämpft werden.
Vor dem russischen Überfall gab es in der Ukraine gerade einmal sechs Hersteller, die – oft mit aus China importierten Teilen – Drohnen produzierten. Inzwischen sind es über zweihundert. In diesem Jahr sollen rund zwei Millionen Stück hergestellt werden. Zudem werden die Drohnen technisch laufend verbessert. Seit letztem Sommer werden massenhaft sogenannte FPV-Drohnen verwendet, auch Drohnen, bei denen der Pilot das Geschehen mit einer Videobrille verfolgt, die in Echtzeit die Aufnahmen der Kamera der Drohne übermittelt. Der Pilot kann damit das unbemannte Fluggerät so steuern, wie wenn er selbst mitfliegen würde, und so Aufklärung betreiben oder gegnerische Truppen angreifen.
Ausserdem werden Drohnen nun auch mit Nachtsichtgeräten bestückt, damit der Pilot auch in der Dunkelheit etwas sehen kann. Inzwischen wird an der Technologie gearbeitet, damit Drohnen auch untereinander kommunizieren können. So könnte ein Pilot nicht nur eine einzelne Drohne, sondern einen ganzen Schwarm von Drohnen führen.
Abwehrmittel gegen die Drohnen
Die ständige Verbesserung der Drohnen hat nach Gegenmitteln zu deren Bekämpfung geführt. Die Russen haben beispielsweise Techniken entwickelt, um Drohnen mit konventionellen Gewehren abzuschießen. Auch gibt es Versuche, Laserwaffen zur Abwehr von Drohnen zu bauen. Diese sind jedoch noch nicht über das experimentelle Stadion hinausgekommen.
Viel wichtiger sind zur Zeit aber Techniken der elektronischen Kriegsführung, ein Gebiet, auf dem die Russen als besonders stark gelten. Es geht dabei darum, die Kommunikation mit der Drohne zu stören und diese dadurch fehlzuleiten oder zum Absturz zu bringen. Hauptsächlich stehen drei Methoden zur Verfügung.
Ein ähnliches, aber effektives Mittel ist ein Störsender (englisch «jammer»), der die Kommunikation zwischen dem Piloten und der Drohne unterbricht, indem er starke Signale auf denselben Frequenzen aussendet. Dadurch wird die Übertragung eines Signals unmöglich.
Eine andere wichtige Methode ist das Senden von Signalen, die vorgeben, von einem Sender stammen, von dem sie in Wirklichkeit gar nicht kommen («spoofing»), etwa von einem Satelliten. So kann eine Drohne beispielsweise durch Empfang falscher GPS-Daten meilenweit vom Kursabkommen entfernt und letztendlich irgendwo zerschellen oder gar eigene Truppen angreifen.
Eine dritte Methode besteht darin, nach einem Ursprungsort zu suchen, von dem häufig elektronische Signale abgesetzt werden. Dies ist insbesondere von Nutzen, um den Aufenthaltsort von Drohnenpiloten zu finden und diese nachher mit Drohnen oder Artilleriebeschuss auszuschalten.
Maßnahmen gegen die elektronische Kriegsführung
Die Störung der Kommunikation zwischen dem Piloten und der Drohne durch elektronische Kriegsführung kann bis zu einem gewissen Grad durch ständigen Wechsel der Frequenzen und durch Anpassung der Antennen verhindert werden. Doch letztendlich handelt es sich dabei um ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Drohnen ständig Gefahr laufen, vom Gegner unbrauchbar gemacht werden.
Deshalb wird nun versucht, die Kommunikation unnötig zu machen und so die elektronische Störung nutzlos zu machen. Dazu müssen autonome Kamikazedrohnen entwickelt werden, die selbständig ein Ziel finden, sich daran «anheften» (falls es sich bewegt) und dieses schließlich selbständig zerstören können.
Ernsthaft bemüht, autonome Drohnen zu entwickeln, begann in der Ukraine im letzten Sommer. Inzwischen gibt es dort etwa ein Dutzend Firmen, die daran beteiligt sind, beispielsweise die beiden Drohnenhersteller Wiri und Saker. Letztes Jahr gab es größere Verzögerungen aufgrund von Problemen bei der Entwicklung der Flugsteuerungssoftware. Doch nach Aussagen des ukrainischen Ministers für Digitalisierung, Michailo Fedorow, hat mittlerweile die Massenproduktion von autonomen Drohnen begonnen, und diese sollen bereits intensiv auf dem Schlachtfeld getestet werden.
Die inländischen Firmen verwenden unterschiedliche Technologien. Wir nutzten Algorithmen der computergesteuerten Bildverarbeitung, welche die von der Kamera der Drohne gemachten Aufnahmen in Echtzeit analysieren und interpretieren und so dem auf der Drohne installierten Computer die Daten für Entscheidungen liefern.
Andere Technologien sind noch komplexer und nutzen beispielsweise Deep Learning, um Software zu entwickeln, die Angriffsziele identifizieren kann. Deep Learning ist eine Methode der künstlichen Intelligenz, welche die Verarbeitung komplexer Informationen ermöglicht und so Vorhersagen und Entscheidungen zu treffen möglich macht. Die Software wird mit Daten von Flugsimulatoren und Drohnenflügen an der Front gefüttert, um sie laufend zu verbessern. Laut Aussagen von ukrainischen Regierungsbeamten und Videoaufnahmen, die von der „New York Times“ verifiziert wurden, sind autonome Drohnen bereits vereinzelt an der Front gegen russische Ziele eingesetzt worden.
Gefahren der Entwicklung
Die Entwicklung von Drohnen, die selbständigen Ziele erfassen und töten, wirft wichtige ethische Fragen auf. Seit Jahren laufen im Rahmen der Uno und des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz Gespräche, um solche Killer-Roboter zu verbieten oder zumindest ihre Verwendung zu regulieren. Doch in der gegenwärtigen konfrontativen geopolitischen Lage besteht wenig Aussicht auf ein internationales Abkommen.
Nicht nur die Ukraine und Russland, auch die USA, China, Israel und weitere Staaten forcieren die Entwicklung von Drohnen und anderen autonomen Kampfmaschinen, wie beispielsweise mit Maschinengewehren und Bodenrobotern. Es ist dabei ein weltweiter Wettlauf zu beobachten. Das Pentagon hat etwa die Replicator-Initiative gestartet, die unter anderem auf die Massenproduktion von autonomen Drohnen abzielt.
Für die ukrainische Militärführung ist die Entwicklung autonomer Drohnen mit der Hoffnung verbunden, dass sich das Kriegsglück wenden könnte, wenn es ihr gelingt, die Russen bei der Entwicklung dieser Kampfmittel zu überflügeln. Dies angesichts der Tatsache, dass die russische Offensive im letzten Jahr gescheitert ist und die Russen inzwischen wieder an mehrere Fronten Druck machen. Ethische Bedenken sind dabei für die Ukrainer sekundär angesichts der Notwendigkeit, einen existenzgefährdenden ausländischen Invasor zu vertreiben.
Außerdem könnte der massenhafte Gebrauch autonomer Kampfmaschinen eines der großen Probleme der ukrainischen Armee sein: den Mangel an Soldaten angesichts des scheinbar grenzenlosen Nachschubs an Wehrmännern auf russischer Seite. „Wenn wir den Punkt erreichen, an dem wir nicht mehr genug Leute haben, besteht die einzige Lösung darin, sie durch Roboter zu ersetzen“, meint einer der Gründer der Drohnenfirma Saker.