Der Mitgründer und CEO von Telegram, Pawel Durow, wird am 24. August 2024 in Paris an diesem Flughafen festgenommen. In Verbindung mit seinem Messenger wird unter anderem wegen Drogenhandel, Betrug und verschiedenen Vergehen im Zusammenhang mit Kindesmissbrauch ermittelt. Das geht aus dieser Pressemitteilung der französischen Strafverfolgungsbehörden hervor. Sie sprechen von Ermittlungen gegen eine «ungenannte Person». Durow ist mittlerweile gegen eine Kaution von 5 Millionen Euro wieder auf freiem Fuss, darf das Land aber vorerst nicht verlassen.
Aber was heissen diese Ermittlungen genau? Wird Telegram jetzt verboten?
Auf Telegram gibt es mehr oder weniger alles: Flohmärkte, Chats für Familien oder auch Partnerbörsen für Singles. Nur ein paar Klicks weiter findet man aber auch weniger unschuldige Angebote: Drogen- und Waffenmärkte, Chats von und für Rechtsextreme oder Verschwörungstheoretiker. Oder in den krassesten Fällen auch Gruppen, in denen Abbildungen von Kindesmissbrauch geteilt oder Terroranschläge geplant werden. Dieser Teil von Telegram könnte man als eine Art «Darknet für Normalos» beschreiben.
Ruth Fulterer: Telegram ist eigentlich eine Mischung zwischen einem Messenger, also wie Whatsapp oder auch Signal, wo man einzelne Leute schreibt, und einer größeren Social-Media-Plattform. Weil es dort praktisch keinen Feed gibt, wo man so neueste Beiträge sieht. Aber man kann halt Teil von Gruppen werden oder auch Kanälen, wo man auch mit ganz vielen Leuten kommuniziert, die man jetzt nicht kennt. Auch nicht nur mit Freunden und Familie.
Besonders während der Covid-19-Pandemie kommt Telegram zu einem immer zweifelhaften Bild. Es werden dort ungefilterte Verschwörungstheorien verbreitet. Aber warum passiert das? Telegram schränkt seine Inhalte wenig bis gar nicht ein. Sehr selten kommt es vor, dass Nachrichten nach dem Posten von Telegram entfernt werden. Es gibt keine sogenannte Content-Moderation wie bei Plattformen wie Instagram, X oder Facebook. Die Philosophie: Praktisch für Durow: Man spart sich so die Kosten für eine Moderation und Menschen, die diesen Content aussortieren müssen. Telegram hat etwa 50 Mitarbeitende, aber etwa 900 Millionen aktive Benutzer. Das hat Auswirkungen: Meinungen können zwar frei geäußert werden, es tummeln sich aber auch Menschen mit Ansichten und Aktivitäten, die nicht mehr mit dem Gesetz vereinbar sind.
Ruth Fulterer: Auch es ist natürlich schon gut, das idealistisch zu sehen. Okay, Mann braucht alle Informationen. Aber natürlich gibt es online Versuche von Regierungen, Leute zu manipulieren, Konflikte zu streuen. Es gibt Desinformation, und es ist extrem schwierig, da genau die Grenze zu ziehen zwischen dem, wo man sagt: „Okay, das ist jetzt einfach ein freier Meinungsaustausch“ und „Alle sind vernünftig genug und können das genau unterscheiden“, und dem, wo man sagt: «Okay, das ist jetzt eigentlich Manipulation.» Und dann gibt es natürlich so Sachen, die auch klar illegal sind wie Aufrufe zum Terrorismus oder Videos von Enthauptungen oder auch Material von Kindsmissbrauch, wo es irgendwie auch klar ist, dass das von der Redefreiheit dann wieder nicht gedeckt ist.
Diese werden aber eben bei Telegram nur bedingt gelöscht. Zum einen, weil Durow sich dagegen wehrt, zum anderen, weil schlicht das Persönliche fehlt. Es gibt aber auch Fälle, bei denen er klein beigeben musste: Zum Beispiel zwingt Indonesien Durow 2017 dazu, Propaganda-Kanäle des IS zu löschen. Oder die Telegram-Kanäle von Russia Today oder Sputnik können in Europa nicht aufgerufen werden, weil die Europäische Union sie wegen Desinformation verboten hat. Diese Fälle sind aber die seltene Ausnahme. Die sehr Kommunikation auf Telegram wird aber nicht nur von Kriminellen frei genutzt; Im Extremfall rettet sie ihr Leben.
Ruth Fulterer: Ja, man darf Telegram nicht so einseitig sehen, weil es schon Fälle gibt, wo das auch positive Konsequenzen hatte. Zum Beispiel ist in Russland Telegram praktisch unverzichtbar, um sich zu informieren über Quellen, die von der Regierung jetzt im normalen Internet blockiert sind. Die sind auf Telegram noch erreichbar. Und es ist auch spannend bei den Protesten, die vor einigen Jahren in Hongkong starben. Da hat Apple auf Anfrage der chinesischen Regierung einen Kartendienst blockiert, mit dem sich Demonstranten organisiert haben. Telegram war die Firma, die dann sagte: „Nein, wir kooperieren nicht, wir lassen das verfügbar.“ Und so konnten sich die Demonstranten organisieren. In der Ukraine nutzen sogar die Regierung und die Leute untereinander Telegram, um sich vor Anschlägen zu warnen.
Durow behauptet immer, Telegram sei der sicherste Messenger. Grund dafür ist der „geheime Modus“, der über den Telegram verfügt. In diesem Modus werden die Nachrichten Ende-zu-Ende verschlüsselt. Auch nur Absender und Empfänger kennen den Inhalt der Nachricht. Bei Gruppenchats gibt es diese Funktion aber nicht. Hier werden die Daten nur Client-to-Server und Server-to-Client verschlüsselt. Sprichwort: Telegram hat vollen Zugriff auf den Inhalt der Nachrichten. Der Telegram-Server ist damit, ganz einfach gesagt, eine wahnsinnig mächtige Datenbank. Aber Durow verspricht hier: Wir geben keine Nachrichten an irgendjemanden heraus.
Ruth Fulterer: Auch Telegram hat auf jeden Fall schon manchmal mit Regierungen kooperiert. Sie haben auch manchmal Sachen zensiert. Es ist also auch nicht so, dass sie nie zusammenarbeiten. Aber sie sagen jetzt selber, die Daten, also wirklich die Inhalte von Chats, dass sie die nicht herausgeben.
Mit der Festnahme Durows wird die französische Regierung jetzt scheinbar Druck aufbauen, sie fordert mehr Kooperation und will, dass Durow mehr Daten herausgibt. Frankreich sieht sich in der Position dazu, denn Pawel Durow ist zwar in Russland geboren, hat aber den französischen Pass. Eine Diskussion um die Einschränkung von Telegram kam schon erheblich auf. Aber würde ein solches Verbot überhaupt funktionieren? Und was würde das konkret bedeuten?
Die App könnte zum Beispiel im EU-Raum von den App-Stores gelöscht werden. Das würde heißen, dass man die App zwar noch installiert haben könnte, aber kein neuer Benutzer diese herunterladen kann. Updates gibt es dann vorerst auch nicht mehr. Ein Gericht in Spanien hatte einst ein solches Verbot angeordnet, dieses wurde aber in letzter Minute abgewendet. Die App ganz zu verbieten, dürfte nicht ganz einfach sein, und auch technisch gibt es keine wirklich wirksamen Mittel. Außer natürlich den Telegram-Server ganz abschalten.
Ruth Fulterer: Ich glaube, ein Verbot von Telegram wäre schon extrem. Ein sehr harter Einschnitt und auch nicht wirklich verhältnismäßig. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass man jetzt mehr Kooperation von Telegram verlangen kann.
Experten fordern vor allem mehr Transparenz. Auf Telegram wird ja, wie vorher erwähnt, schon manchmal gelöscht. Zu diesen Löschungen gibt Pawel Durow auch teilweise selbst auf seinem Telegram-Kanal Auskunft. Nur passiert das nicht systematisch, sondern einfach irgendwie, und das auch eher selten. Hier müsste mehr Transparenz und System her, Experten finden.
Ruth Fulterer: Ja, im Moment ist Telegram extrem intransparent, wenn man weiß, was dort überhaupt gelöscht wird. Und man könnte zum Beispiel verlangen, dass sie einen Art Report rausgeben, wo sie sagen: „Okay, das sind unsere Anfragen, die wir erhalten haben, und so und so viel haben wir gelöscht.“ Auch da könnte man sehr viel mehr Transparenz schaffen.
Bei Telegram herrscht schon ein bisschen Wilder Westen. Das ist aber tief in der DNA des Unternehmens verankert und gehört zum Erfolgskonzept.
Ruth Fulterer: Für Durow ist das natürlich schon ein Dilemma, weil er eben wahrgenommen wird als dieser Held, der mit niemandem zusammenarbeitet. Und er wird als einer wahrgenommen, der einfach für sich allein steht.
Die Frage ist schon: Muss Durow in die Verantwortung genommen werden, für die Dinge, die sich auf seiner Plattform abspielen? Stiehlt er sich aus der Verantwortung? Und wo befindet sich die Grenze zwischen Zensur und freier Meinungsäußerung?
Fragen, auf welche einfachen es keine Antworten gibt.