Telegram-Chef festgenommen: Wer ist Pawel Durow?
Viele feiern den Tech-Milliardär als Helden der Meinungsfreiheit. Er gibt damit einen, durch Samenspende 100-facher Vater zu sein.
Er lebte in einer Villa in Dubai, postete auf Instagram Fotos seines durchtrainierten Körpers und gab damit einen, biologischen Vater von 100 Kindern zu sein: Pawel Durow, 39, lebte bis vorgestern seinen Traum. Nun wurde der Telegram-Gründer in Paris verhaftet.
Offenbar lag in Frankreich ein Haftbefehl gegen ihn vor. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte die französische Polizei, dass man ihm vorwerfe, bezüglich Cyber- und Finanzkriminalität auf seiner Plattform zu untätig zu sein.
Durow war einst die Tech-Hoffnung Russlands
Die Festnahme kommt für Durow auf dem Höhepunkt einer ziemlich unwahrscheinlichen Karriere. Die Bezeichnung russischer Mark Zuckerberg ist eigentlich untertrieben. Schliesslich ist er der einzige Tech-Unternehmer, der es geschafft hat, gleich zwei erfolgreiche soziale Netzwerke zu gründen.
Durow ist als Sohn eines russischen Latein-Professors in Italien aufgewachsen. Nachdem die Familie nach St. Petersburg zurückkehrte, programmierte Pawel Durow mit 21 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Nikolai das russische Facebook-Pendant VKontakte. In Russland wurde er dafür gefeiert.
Acht Jahre nach der Gründung, 2014, gab Durow den Chefposten von VKontakte allerdings auf, seiner Darstellung nach, weil er mit den russischen Behörden im Konflikt geriet, die von ihm verlangten, Daten von Oppositionellen herauszugeben.
Telegram kooperiert kaum mit Behörden
Durow verkaufte seine Anteile an VKontakte, zog nach Dubai und führte von dort aus sein nächstes Startup zum Erfolg, den Messenger-Dienst Telegram, eine Alternative zu Whatsapp.
Durow allein entscheidet darüber, was dort passiert. Denn Telegram gehört nur ihm, und mit den Vereinigten Arabischen Emiraten hat er sich bewusst einen Standort ausgesucht, an dem die Regierung sich nicht in seine Geschäfte einmischt.
Denn Durow will nicht in das eingreifen, was Nutzer mit seiner App anmelden. Für manche ist er deshalb ein Held der Meinungsfreiheit. Aber viele Länder erwarten Kooperation, wenn Nutzer mithilfe von Telegram Gesetze brechen.
Denn Telegram ist schon lange mehr als eine Nachrichten-App. Es gibt dort auch eine Suchfunktion, um Kontakte zu finden und Gruppen und Kanälen beizutreten. Wie auf anderen sozialen Netzwerken.
Und wie andere soziale Netzwerke wird Telegram auch genutzt, um Propaganda und radikale Inhalte zu verbreiten und mit Drogen oder Sex zu handeln. Anders als Instagram, Facebook oder Tiktok unternimmt es allerdings fast nichts gegen Missbrauch.
Durow stellt sich als libertären Idealisten dar
Anfragen von Behörden und Regierungen, die um Kooperation bei Ermittlungen ansuchen, oder darum, dass illegale Inhalte gelöscht werden, ignoriert Durow meistens. Das erzählte er kürzlich bei einem Interview mit Tucker Carlson, dem von Fox-News gecasteten Moderator, der kurz vor Durow auch Wladimir Putin zu Gast hatte.
Tucker Carlson gehört zu jenen, die in Durow einen Helden der Meinungsfreiheit sehen. „Telegram sei der einzige Ort im Internet gewesen, an dem „Wahrheiten über Covid nicht zensiert“ worden seien“, sagte Carlson im Interview.
Durow stellt sich selbst immer als Idealisten dar, der aus libertären Prinzipien mit keiner Regierung zusammenarbeitet. Im Interview betonte er, dass es ihm nie um Reichtum gegangen sei. Er habe sich weder Immobilien noch Jets oder Jachten gekauft, sondern interessiere sich nur für sein Herzensprojekt, die neutrale Plattform Telegram.
Mit seinem Laissez-faire-Ansatz fand Telegram auf jeden Fall eine lukrative Nische im Markt der sozialen Netzwerke. Der Krieg ist nicht nur in Russland gefragt, wo die meisten westlichen Plattformen blockiert sind. Auch im Westen wurde die App immer beliebter.
Wichtigstes Telegramm von Skepsis gegenüber Politik und Medien. Das zeigte vor allem die Corona-Pandemie. Damals entdeckten Impfgegner, aber auch Corona-Leugner die App für sich, weil jede Moderation fehlte. In vielen Gruppen und Kanälen mit Covid-Bezug wurden die Inhalte und der Ton im Laufe der Zeit immer radikaler.
Zweitens etablierte sich die App als Alternative zum Dark Web. In diesem verschlüsselten Teil des Internets finden viele illegale Geschäfte statt. Doch zum Einstieg ist der verschlüsselte Tor-Browser nötig. Auf Telegram braucht es sehr viel weniger technisches Wissen, um an illegale Ware zu kommen.
Viel Geld und viele Kinder
Wie die meisten Tech-Plattformen nehmen Telegram Geld durch Werbung ein. Damit und durch eine eigene Kryptowährung finanzierte Durow in Dubai ein durchaus opulentes Leben. Laut Forbes zahlte er für seine Villa im Inselviertel Jumeirah eine Million Dollar jährliche Miete, sein Vermögen wird auf 15 Milliarden Dollar geschätzt.
Auf Instagram präsentiert Durow am liebsten seine Muskeln, garniert mit nachdenklichen Sprüchen.
Auf seinem Telegram-Kanal beschrieb Durow, der laut Forbes fünf Kinder mit zwei Ex-Freundinnen hat, dass er als Samenspender insgesamt mehr als 100 biologische Kinder habe. Ein Klinikdirektor, der sagte, „Material von Spendern mit hoher Qualität“ sei selten, habe ihn davon überzeugt, dass es seine Bürgerpflicht sei, seinen Samen zu spenden.
Auf seinem Telegram-Kanal verbreitete Durow jüngst auch Gerüchte darüber, dass die Nachrichten-App Signal von Geheimdiensten unterwandert sei. Experten schätzen diese als haltlos ein, kritisieren gleichzeitig, dass auf Telegram private Nachrichten nicht automatisch verschlüsselt werden, sondern nur, wenn Nutzer einen «geheimen Chat» starten – der aber für Gruppen-Chats gar nicht zur Verfügung steht.
Der letzte Beitrag aus Durows Telegram-Kanal stammt vom 14. August und feiert den 11. Geburtstag des Messengers. Er selbst habe sich als Elfjähriger an seinem Geburtstag versprochen, täglich klüger, stärker und freier zu werden – für Telegram habe er dieselben Ziele.
Dass er mit seinem Privatflugzeug in Frankreich ausgerechnet ist, wo Ermittlungen gegen ihn laufen, zeigt, dass er seine eigene Freiheit wohl überschätzt hat. Für seine Fans aber wird er durch die Festnahme mehr als je zuvor zum Märtyrer der Meinungsfreiheit.