Verhaftung des Telegram-Chefs Durow: Wer Terroristen, Kinderschänder und Drogenhändler gewähren lässt, muss Konsequenzen tragen
Telegram sollte Straftätern endlich die Nutzung untersagen. Die Haftung des CEOs könnte eine Wende in der Plattform einläuten.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Telegram Straftaten erleichtert. Ein Beispiel aus Zürich: Wer am Hauptbahnhof steht und die Funktion «Leute in der Nähe» freischaltet, findet von wenigen Sekunden mehrere Händler von Drogen: Heroin, Koks, Crystal Meth – alles in Gehdistanz.
Und das ist bei weitem nicht das Einzige. Wer spezifisch danach sucht, findet in Nutzergruppen verbotene jihadistische Propaganda. In Exekutionsvideos wird Gewalt verherrlicht, alles erreichbar mit ein paar Klicks. Diese Terror-Inhalte richten sich gezielt an Menschen in Deutschland, der Schweiz und Österreich, sind sie doch auf Deutsch beschriftet und kommentiert. Hier rekrutiert der IS für Attentate wie jüngst in Solingen.
Weiter gibt es Kanäle, in denen Artmissbrauchsmaterial erstellt und geteilt wird. Das IT-Sicherheitsunternehmen Trend Micro entdeckte jüngst einen Kanal mit einem Bot, in dem man Bilder von voll bekleideten Mädchen hochladen und KI-generierte Nacktbilder der Kinder zurückhalten kann. Auch Bildmaterial aus echtem Kindsmissbrauch wird über Telegram geteilt.
Damit übersteigt Telegram immer wieder die Grenzen des Gesetzes. Und dafür soll Pawel Durow, der Gründer und CEO der Plattform, nun belangt werden. So suggerieren es jedenfalls Berichte über die Festnahme Durows in Frankreich. Der genaue Wortlaut der Anklage oder des Haftbefehls ist noch nicht öffentlich.
In freier Demokratie schadet Telegram mehr, als es nützt
Mit der Verhaftung Durows handeln die französischen Behörden im Interesse ihrer Staatsbürger. In westlichen Ländern mit einer funktionierenden Demokratie, wo auch Verlautbarungen von Oppositionellen und Verschwörungstheoretikern von der Meinungsfreiheit geschützt werden, schadet Telegram mehr, als es nützt, weil es schreckliche Straftaten ermöglicht. Schliesslich sind Nacktfotos von Kindern wenig genauso durch die Meinungsfreiheit geschützt wie Videos mit Terrorpropaganda.
In Diktaturen, wo viele der rund 800 Millionen Telegram-Nutzer wohnen, ist die Güterabwägung eine andere. Gerade in Russland ist Telegram einer der wenigen letzten Kanäle für Oppositionelle, der nicht überwacht und zensiert wird – jedenfalls wäre dies nicht bekannt. Das macht die Plattform wertvoll, obwohl sie auch dort Straftaten anheizt. Nun befürchten Regimekritiker in Diktaturen, dass das Netzwerk durch die Haftung Durows geschädigt wird und sie ihren Kommunikationskanal verlieren.
Diese Befürchtungen sind aber allzu pessimistisch. Denn Telegram kann auch weitgehend ohne politische Inhaltsmoderation bleiben, aber Beiträge und Kommentare offline nehmen, die Straftaten anheizen. Genauso wie andere Netzwerke kann Telegram Terrorpropaganda löschen, aber ein breites politisches Meinungsspektrum zulassen, Bilder von Kindesmissbrauch löschen, aber Bilder von Protesten zulassen.
Dass dafür ein Filter eingebaut werden müsste, der dann Willkür und staatlicher Überwachung ausgesetzt werden würde, muss nicht sein. Durow hat ausreichende Standhaftigkeit bewiesen, als dass ihm zugetraut werden kann, dass er Drogen, Terror und Kindsmissbrauch löscht, sich politisch aber zurückhält.
Telegram löschte bereits Gruppen, ohne gleich die Meinungsfreiheit abzuschaffen
Dass das möglich ist, zeigt mehrere Fälle aus der Vergangenheit. Im Jahr 2022 gab Telegram Nutzerdaten an das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) heraus, wie der „Spiegel“ recherchierte. Auch dabei ging es um Terrorismus und Kindesmissbrauch.
Telegram richtet laut der Recherche sogar eine E-Mail-Adresse speziell für das BKA ein. Dorthin würden sich die Ermittlungsbehörden wenden, wenn sie im laufenden Verfahren auf strafbare Inhalte stoßen, die gesperrt werden sollten. Mehr als hundert deutsche Kanäle und Gruppen haben das BKA an Telegram gemeldet, erklärten informierte Kreise gegenüber dem «Spiegel». Obwohl Telegram damals die Kooperation mit den Behörden sowie die Inhaltsmoderation abstritt, waren tatsächlich nahezu alle der gemeldeten Kanäle offline genommen worden.
Das zeigt: Telegram kann schädliche Inhalte löschen und tut dies auch, ohne dass dabei die Meinungsfreiheit abgeschafft würde. Klagen sind angebracht, dass die Plattform mehr unternimmt, um Straftaten zu verhindern. Darüber hinaus wäre mehr Transparenz wichtig, welche Beiträge und Gruppen gelöscht werden und aus welchen Gründen.
Nun müssen die französischen Behörden möglichst bald erklären, auf welcher Gesetzesbasis sie Durow festhalten. Je länger sie damit zuwarten, desto kürzer scheint die Haftkraft zu sein. Gelingt es ihnen aber, zu bewirken, dass Telegram Straftäter nicht mehr unbehelligt lässt, gewinnt auch die Plattform. Denn damit würden sie endgültig ihren wahren Zielen dienen.