Wie aus Taiwan eine Hightech-Weltmacht wurde: die Geschichte hinter dem Chip-Monopol
Die Angst vor China bewog Taiwan dazu, Risiken einzugehen, die sonst niemand wahrte. Ein visionärer Minister gründete in einer politischen Notlage die Basis für eine beispiellose technologische Entwicklung.
Die Vision zu Taiwans Computerchip-Industrie entstand in einem Nudellokal im Stadtzentrum von Taipeh. Dort trafen sich 1974 sieben taiwanische Funktionen zum Frühstück. Sie diskutierten darüber, wie man Taiwans Industrialisierung vorantreiben könnte. Als das Treffen zu Ende war, ging einer von ihnen zurück in sein Hotelzimmer. Und entwarf einen Plan zur Produktion von Computerchips in Taiwan.
Computerchips, auch Halbleiter genannt, sind unerlässlich für das tägliche Leben. Sie stecken in Tausenden von elektronischen Alltagsgegenständen, Autos, Handys, Flugzeugen. 60 Prozent aller Chips und 90 Prozent der modernsten Chips, die Technologien wie 5G oder künstliche Intelligenz ermöglichen, werden heute in Taiwan hergestellt. Die meisten davon stammen von der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC).
Taiwan ist heute der bedeutendste Chip-Produzent der Welt. Das hat auch mit Taiwans Beziehungen zu den USA zu tun.
Nixon in China
Die Geschichte der taiwanischen Chip-Industrie beginnt Ende der 1960er Jahre. Der einflussreiche taiwanische Minister K. T. Li wird die Industrialisierung Taiwans vorantreiben. Er bemühte sich um einen Deal mit dem amerikanischen Chip-Hersteller Texas Instruments (TI). Li bringt die Firma dazu, einige ihrer Produkte in Taiwan zusammenbauen zu lassen. Li weiß, dass die amerikanische Halbleiterindustrie durch viele amerikanisch-chinesische Forscher aufgebaut wurde. Er hofft, dass viele von ihnen bereit sind, Taiwan zu helfen.
Kurz danach durchlebt Taiwan eine beispiellose politische Krise. Seit dem Ende des chinesischen Bürgerkriegs 1949 beanspruchen die siegreichen Kommunisten für sich, den rechtmäßigen Vertreter des chinesischen Volkes zu sein. Dasselbe tun die unterlegenen, nach Taiwan geflüchteten Anhänger des chinesischen Politikers Chiang Kai-shek. 1971 beschließt die Uno-Generalversammlung, das kommunistische China als den „einzigen legitimierten Vertreter Chinas in den Vereinten Nationen anzuerkennen“ und den Vertreter Chiang Kai-sheks aus der Uno auszuschließen. Taiwan verliert damit die internationale Anerkennung als unabhängiger Staat.
Als ein Jahr später mit Richard Nixon erstmals ein amerikanischer Präsident das kommunistische China besuchte, scheint die Zukunft Taiwans ungewisser denn je. Militärisch ist Taiwan Festlandchina schon lange unterlegen, seit 1964 ist Festlandchina eine Atommacht. Nun bricht die internationale Anerkennung für den Inselstaat weg.
Li, der taiwanische Minister, weiß, dass sein Land ohne die USA nicht bestehen kann. Er hält engere Wirtschaftsbeziehungen deshalb für die einzige richtige Überlebensstrategie. Je enger die Beziehungen zu den USA, desto sicherer sei Taiwan, lautete seine Überzeugung.
Amerikanisches Know-how und taiwanische Effizienz
Anfang der 1970er Jahre ließen sich zwar zahlreiche Firmen in Taiwan Elektrogeräte zusammenbauen. Doch von einer eigenen Halbleiterindustrie ist das Land noch weit entfernt. Dann treffen sich die Funktionen im Nudellokal. Und nehmen Sie sich vor, das zu ändern.
Pan Wen-Yuan, ein amerikanisch-chinesischer Ingenieur, ist es, der abschließend im Hotelzimmer das Projekt dazu skizziert. Er weiß, dass Taiwan dafür auf Wissen aus den USA angewiesen ist. Pan hatte zuvor beim amerikanischen Halbleiterunternehmen Radio Corporation of America (RCA) gearbeitet. Nun überzeugt er seinen früheren Arbeitgeber, Taiwan die Technologie zum Produzieren von Computerchips zur Verfügung zu stellen. 1976 schloss sich die RCA mit dem taiwanischen Industrial Technology Research Institute (ITRI) auf einen Wissenstransfer und einen Lizenzvertrag an.
Das ITRI war im Jahr zuvor von der taiwanischen Regierung initiiert worden. Es soll die Industrialisierung vorantreiben und technologische Innovation fördern. Nun wird auf dem ITRI-Gelände eine Testfabrik gebaut. Darin sollen Computerchips für Elektrouhren hergestellt und danach weltweit verkauft werden.
Pans Plan einer unabhängigen taiwanischen Chip-Produktion ist für das Land ein riesiger Schritt. Pan rekrutiert zusammen mit dem ITRI dreissig junge Ingenieure. Diese gehen zur Ausbildung in die USA.
Ende 1977 begannen die taiwanischen Ingenieure damit, in der Testfabrik Computerchips zu produzieren. Mit großem Erfolg. Das zeigt sich daran, wie viele der taiwanischen Chips fehlerfrei sind. Die Ausbeute in der Fabrik von RCA in den USA liegt bei 50 Prozent. Die taiwanischen Ingenieure erreichen in der Testfabrik nach sechs Monaten eine Ausbeute von 70 Prozent.
Wieso sind Taiwans Ingenieure nach kurzer Zeit besser und effizienter als ihre amerikanischen Lehrer? Die Antworten von taiwanischen Politikern, Wissenschaftlern und Mitarbeitern des ITRI bleiben auf Nachfrage der NZZ vage. Sie verweisen auf das schwer zu fassende taiwanische Arbeitsethos: «Taiwaner geben rund um die Uhr vollen Einsatz. Notfalls schlafen sie in der Fabrik.»
Nach der erfolgreichen Inbetriebnahme der Testfabrik ist die Basis für Taiwans Halbleiterindustrie geschaffen. 1980 geht mit United Microelectronics Corporation (UMC) der erste taiwanische Chip-Hersteller aus dem Projekt des ITRI und der RCA hervor. Ganz nebenbei wird Taiwan durch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der RCA zum drittgrößten Exporteur von Elektrouhren.
Der Blankocheck
Doch Li, der Minister, ist dennoch unzufrieden mit dem Entwicklungsstand. Trotz der Zusammenarbeit mit der RCA ist Taiwan weit davon entfernt, internationale Unternehmen beim Produzieren von Chips zu konkurrenzieren. Noch immer ist der Inselstaat viel bedeutender auf einer tieferen Stufe der Chip-Wertschöpfungskette: beim Testen von Chips und beim Zusammenbauen von Elektrogeräten. Damit sich das ändert, wendet sich Li an Morris Chang.
Chang ist eine der bedeutendsten Figuren in der Chip-Entwicklung überhaupt. Er siedelte 1949 von Hongkong in die USA über. Bald darauf begann er bei Texas Instruments, einem der wichtigsten Unternehmen in der Anfangszeit der Halbleiterindustrie. Über die Jahre stieg er dort auf zum Verantwortlichen für das internationale Geschäft. Li kennt Chang, seit er ihn und TI 1968 davon überzeugt hatte, Anlagen auf Taiwan zu eröffnen.
1985 macht Li Chang ein Angebot: Chang soll Präsident des ITRI werden und als solches das Kommando über Taiwans Chip-Industrie erhalten. Zur Verwirklichung seiner Pläne soll er einen Blankocheck der taiwanischen Regierung erhalten.
Chang willigt ein. Und sein Plan ist grob, ungeheuer, revolutionär.
Chang wird in Taiwan die Idee einer „professionellen Gießerei“ verwirklichen, zu Deutsch „professionelle Giesserei“, gemeint ist eine Chip-Fabrik. Das Konzept sieht vor, das Forschen an Chips und am Prozess, um ihr Design von deren Produktion zu trennen. Professionelle Chip-Fabriken sollen die Produkte herstellen, die die «fabriklosen» Kunden entwerfen. Das würde laut Chang mehr Unternehmen dazu bewegen, Chips blühen zu konzipieren. Und das führte zu mehr Bestellungen bei den Auftragsfertigern.
Als Chang seine Stelle am ITRI antritt, ist die Idee der Auftragsfertigung in Expertenkreisen bereits bekannt. IBM und Motorola hatten zwanzig Jahre zuvor schon Versuche in diese Richtung gestellt. Doch Chang ist der Erste, der das Konzept der Auftragsfertigung mit Vehemenz verfolgt.
Revolution «made in Taiwan»
Chang skizziert das Geschäftsmodell für seine Chip-Fabrik und präsentiert es der taiwanischen Regierung. Niemand weiß, wie teuer das Projekt am Ende sein wird und vor allem: ob es erfolgreich sein wird. Die Regierung willigt dennoch ein.
Li bringt die taiwanische Regierung dazu, 48 Prozent des Startkapitals für die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) bereitzustellen und ihr großzügige Steuererleichterungen zu gewähren.
Auf der Suche nach einem Technologiepartner wendet sich Chang an seinen früheren Arbeitgeber TI und an den Chip-Hersteller Intel, doch beide lehnen eine Zusammenarbeit ab. Es ist am Ende das niederländische Halbleiterunternehmen Philips, das sich bereit erklärt, TSMC für eine Beteiligung von 27,5 Prozent der Firma Technologien und Patente zu übertragen.
1987 nimmt TSMC den Betrieb auf. Und der Erfolg kommt umgangen.
Wie von Chang prophezeit, macht es TSMC für Firmen viel leichter, in den Halbleitermarkt einzutreten. Mit der Gründung von TSMC erhalten alle «fabriklosen» Chip-Designer einen Partner und sparen sich die Kosten einer eigenen Produktion. Chang macht allen seinen Kunden ein Versprechen: TSMC werde keine eigenen Chips entwerfen. Es werde sie nur produzieren. Dieses Versprechen bekräftigt das Unternehmen bis heute.
Gleichzeitig erforderte der unaufhörliche technologische Fortschritt, wie von Chang vorhergesagt, enorme Investitionen in die Chip-Produktion. Das können nur Unternehmen leisten, die massenhaft Chips produzieren. Und das tut TSMC.
Wie schon in den Jahren zuvor sind die USA ein wesentlicher Faktor für Taiwans Erfolg. Viele der TSMC-Angestellten haben wie Chang selbst enge Beziehungen zum Silicon Valley, dem weltweiten Ursprung der Halbleiterindustrie. Und viele der ersten Kunden von TSMC sind amerikanische Chip-Designer. In den 1990er Jahren geht bereits die Hälfte der TSMC-Chips in die USA.
Heute generierte TSMC fast 70 Prozent seiner Erträge in den USA. Amerikanische Firmen wie Apple und Nvidia lassen ihre Chips von TSMC produzieren.
K. T. Li legte vor fünfzig Jahren den Fokus auf die Halbleitertechnologie, um die wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA zu vertiefen und Taiwan so sicherer zu machen. Der Plan ist aufgegangen: Heute ist Taiwan für die USA um ein Vielfaches wichtiger als damals. Und das Verlangen der Amerikaner, Taiwan vor China zu schützen, ebenso viel größer.