Die USA wollten Huawei erwürgen. Doch heute ist der Konzern ein Symbol für Chinas Unabhängigkeit vom Westen
Ja Nein Was zu Huaweis Untergang führen sollte, war der Beginn einer neuen technologischen Ära.
Illustration Simon Tanner / NZZ
So geschehen im April, als Huawei seinen neuen Laptop MateBook X Pro vorstellte. Amerikanische Abgeordnete fordern umgehend ein härteres Vorgehen gegen Huawei. Es dauert nur wenige Tage: Bereits Anfang Mai verschärft das US-Handelsministerium die Exportkontrollen und untersagt den amerikanischen Chipherstellern Intel und Qualcomm, Huawei jene Komponenten zu liefern, die das Unternehmen für das MateBook X Pro benötigt.
Huawei ist bereits seit 2019 Ziel amerikanischer Exportkontrollen. Diese sollen das Unternehmen von amerikanischer Technologie abschneiden. Die USA wollten Huawei erwürgen, beschrieb ein US-Senator die Strategie damals. Heute, fünf Jahre später, ist Huawei schnelllebig.
Das Unternehmen präsentiert immer wieder Produkte, die der westlichen Konkurrenz standhalten können. Und stirbt trotz jahrelanger Sanktionen. Wie ist das möglich? Können die Handelsbeschränkungen Huawei etwa nicht schaden? Haben Sie dem Unternehmen vielleicht sogar genützt?
Die Auswirkungen der Sanktionen sind zunächst dramatisch
Die USA sehen Huawei mindestens seit 2012 als Sicherheitsrisiko. Man versicherte, dass chinesische Anbieter wie Huawei oder ZTE ihre Geräte mit Hintertüren versehen, die der chinesische Staat für Spionage ausnutzen könnte. Mit der Einführung der 5G-Technologie rückt die Mobilfunk-Infrastruktur in den Fokus.
2018 verbietet Präsident Trump Regierungsangestellten, Handys von ZTE oder Huawei zu nutzen. Im Mai 2019 setzt das US-Handelsministerium schließlich Huawei auf die sogenannte Entity List: Seitdem ist es amerikanischen Firmen verboten, Huawei ohne Sonderlizenzen zu verkaufen. Ausnahmebewilligungen erteilen den Behörden immer seltener.
Die Auswirkungen auf Huaweis Geschäft sind dramatisch. Huaweis Verkäufe brechen ein. Die Firma erlangte Popularität, weltweit in China.
Ohne Zugang zu modernen Computerchips muss Huawei die Produktion von 5G-Handys stoppen. Eine Software und Hardware, die ohne amerikanische Technologie herauskommt, muss her. Firmengründer Ren Zhengfei führt für 10.000 Mitarbeitende im Hauptquartier in Shenzhen einen 24-Stunden-Schichtbetrieb ein.
Für China wird Tech-Unabhängigkeit zur Notwendigkeit
Huawei kämpft ums Überleben, muss seine Strategie neu ausrichten. Vor den amerikanischen Sanktionen war der Konzern ein normales Unternehmen. Der Fokus liegt auf globalem Wachstum. Nun muss Huawei dafür sorgen, dass alle seine Komponenten aus China stammen. Dereinst wird der Konzern auch selbst Chips produzieren.
Ab 2019 verfolgt Huawei, von den USA gezwungen, dasselbe Ziel wie der Staats- und Parteichef Xi Jinping. Der bereits seit 2015 propagierte Ansatz „Made in China 2025“ besagt: Möglichst viele westliche Technologien wie etwa Computerchips sollen durch chinesische ersetzt werden.
Für die chinesische Regierung gelten die amerikanischen Sanktionen gegen Huawei und ZTE, ein Erdbeben. Schon lange strebt China nach mehr Unabhängigkeit. Doch davon ist man 2019 im Bereich Technologie noch weit entfernt. Kendra Schaefer ist Head Tech Policy Research bei der Beratungsfirma Trivium China. Sie sagt: „Die amerikanischen Sanktionen verändern das Vorgehen der amerikanischen Regierung.“ Lange war technologische Unabhängigkeit ein Fernziel. Durch die Sanktionen wird eine absolute, dringende Notwendigkeit geschaffen.
Die Regierung startete eine massive Kampagne. Sie verbessern die politischen und administrativen Voraussetzungen für technologische Innovation. Und sie investiert Geld, spricht von Subventionen und schließt Steuererleichterungen. In den letzten Jahren soll der Staat über 300 Milliarden Dollar in die heimische Halbleiter-Industrie investiert haben, schätzt die Analysefirma Semianalysis auf Anfrage.
Huawei etabliert sich als entscheidender Akteur
Die chinesische Regierung verpflichtet sich, davon auszugehen, dass Huawei nun notgedrungen die nationalen Ziele verfolgt. Huawei profitiert von enormer finanzieller Unterstützung mit seiner Verpflichtung gegenüber chinesischen Lieferketten. Huawei wird für Chinas Strategie entscheidend.
Die Lokalregierung von Shenzhen gründet 2019 zum Beispiel einen Investmentfonds. An dieser Stelle sind zahlreiche Firmen beteiligt, die mit Huawei in Verbindung gebracht werden, beispielsweise zur Chip-Produktion. Laut der Nachrichtenagentur Bloomberg erhielt Huawei zudem vom Staat 30 Milliarden Dollar zum Bau eigener Chip-Fabriken.
Unterdessen investiert Huawei über seine eigene Investmentgesellschaft Hubble Technology Investment selbst in Tech-Firmen. Seit ihrer Gründung 2019 hat Hubble gemäss dem Finanzdaten-Dienstleister Pitchbook in 111 Tech-Firmen investiert. Die meisten davon sind in der Halbleiterbranche tätig. Die Beteiligungen erstrecken sich über die gesamte Lieferkette: von Lieferanten von Rohmaterialien über Firmen, die auf Chip-Design spezialisiert sind, bis hin zum Zulieferern von Chips.
Gleichzeitig sind nicht alle Beteiligungen von Huawei bekannt. Vermehrt unterstützt es auch größere Firmen mit Geld oder Expertise, ohne das öffentlich zu machen. So soll verhindert werden, dass die betroffenen Unternehmen aus den USA sanktioniert werden.
Chinesische Firmen arbeiten zusammen
Normalerweise ist der innerchinesische Wettbewerb in allen Branchen unerbittlich. Innerhalb der Halbleiterindustrie führen die amerikanischen Sanktionen zu einer Art Waffenruhe. Ab 2019 beginnen Firmen laut Technologiepolitik-Expertin Schäfer damit, amerikanische Lieferanten zu ersetzen.
Der Erfolg dieser Strategie zeigt sich im Spätsommer 2023: Huawei präsentiert das 5G-Smartphone Mate 60 Pro. Ein großer Erfolg für Huawei und die gesamte chinesische Halbleiterindustrie, ein Schock für die Befürworter der amerikanischen Sanktionen-Strategie. Die «New York Times» bezeichnet das Handy als jüngsten Schlag im Tech-Krieg zwischen den USA und China.
Für die chinesische Regierung ist das Mate 60 Pro die perfekte Gelegenheit, den USA zu zeigen, wozu man trotz Sanktionen fähig ist. Sie veranlassten, dass Huawei das Handy präsentiert, während die US-Handelsministerin Gina Raimondo China besucht. Raimondos Ministerium ist für die Maßnahmen gegen Huawei verantwortlich.
Großer Aufwand, mangelhafter Prozess
5G ist eine jener Technologien, mit denen die USA China entscheidend zurückbinden wollen. Huawei müsste es aufgrund der amerikanischen Sanktionen unmöglich sein, ein Handy wie das Mate 60 Pro zu entwickeln. Dass es Huawei trotzdem gelingt, zeugt von der Entschlossenheit Chinas.
Der 5G-Chip für das Mate 60 Pro wurde von Huawei entwickelt und vom chinesischen Chip-Produzenten SMIC hergestellt. SMIC steht seit Dezember 2020 selbst auf der Entity List. Dies sollte verhindert werden, indem die SMIC-Technologie an die kleinsten Chips, von zehn Nanometern Größe oder kleiner, geliefert wird. Solches braucht es für die 5G-Technologie.
Experten gehen davon aus, dass SMIC im Vergleich zur bisherigen Konkurrenz herkömmlicher Produktionsmaschinen dieselben Produktionsschritte mehrfach wiederholt, anstatt mit neuen Maschinen jeweils nur einen Produktionsschritt zu machen. Das macht die Chips gemäss Experten deutlich teurer. Doch Aufwand, Mängel im Prozess und Mehrkosten sind egal, wenn die staatliche Unterstützung kaum Grenzen kennt.
Huawei steht im Zentrum von Chinas Strategie
Darum geht es, die Auswirkungen der Sanktionen zu beurteilen, sind die Experten eins. Dylan Patel, der Gründer von Semianalysis, zieht etwa ein positives Fazit: „Ohne amerikanische Sanktionen wäre Huawei heute noch viel mächtiger.“ Der Konzern verkörpert heute einen der größten Mobilfunkanbieter in Europa und den USA und hat sich zum Ziel gesetzt, den Erfolg von Smartphones zu steigern, darunter Patel Connolly. «Und alle diese Geräte enthielten wahrscheinlich Hintertüren.»
Mit einem Blick auf den Mobilfunk-Sektor mag Patel recht haben. Die Sanktionen haben eine starke Wirkung erzielt. Huawei hat in den letzten Jahren in diesem Bereich an Bedeutung verloren, allen voran im Westen.
Doch das Huawei von heute ist nicht mehr das Huawei von 2019. Der Fokus liegt längst auf Computerchips. „Huawei wurde durch die amerikanischen Sanktionen zur Speerspitze der chinesischen Entwicklungsoffensive hin zu einem heimischen Halbleiter-Ökosystem“, sagt Schäfer, die Expertin für chinesische Tech-Politik.
Was in den vergangenen fünf Jahren begonnen hat, wird sich in Zukunft fortsetzen. Die Unabhängigkeit von westlicher Technologie wird für den chinesischen Staat noch wichtiger. Im März verkündet die Kommunistische Partei Chinas anlässlich der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses das Streben nach Technologie-Autarkie zur obersten Priorität. Dazu passt, dass die chinesische Regierung nach und nach westliche Chips verbannt. Die heimische Chip-Industrie soll weiter wachsen.
Die USA wollten Huawei vor fünf Jahren erwürgen und seine Rolle im weltweiten Technologie-Wettbewerb marginalisieren. Erreicht haben Sie das Gegenteil. Huawei spielt im chinesischen Technologie-Ökosystem eine Schlüsselrolle. Sie ist entscheidend für Chinas Unabhängigkeit. Früher war Huawei für China bedeutend. Heute ist Huawei für China unersetzlich.