Microsoft-Chef Satya Nadella wirkt beim Chaos um Open AI wie der einzige Erwachsene im Raum – und landet einen Coup für sein Unternehmen
Im Drama um Open AI konnte der Microsoft-Chef mit der Anstellung Sam Altmans die Märkte beruhigen. Doch das nächste Problem ist schon offenkundig.
Satya Nadella versuchte, das Chaos um Open AI zu beruhigen.
Carlos Barria / Reuters
Einer bleibt ruhig – zumindest nach aussen. Nachdem der Microsoft-Chef Satya Nadella in der Nacht zum Montag die Märkte beruhigt hatte, kündigte er die Einstellung des abgesetzten Open-AI-Chefs Sam Altman an, ging er am Abend in die (Medien-)Offensive.
In zwei TV-Interviews bei CNBC und Bloomberg versuchte Nadella, nachsichtig lächelnd, Sorgen von Kunden und Investoren zu zerstreuen. Das Chaos beim führenden Startup für künstliche Intelligenz (KI), Open AI, habe eigentlich nichts verändert, sagte Nadella, dessen Microsoft-Konzern größter Investor bei Open AI ist. Er sei „fokussiert auf unsere Kunden“, die Partnerschaft mit Altman und Open AI werde weiter existieren.
Die «Erwachsenen im Raum» haben übernommen
Nadella gilt nach den vergangenen Tagen vielen Analysten als eine Art «Stabilitätsanker». Dan Ives, Analyst beim Finanzhaus Wedbush, nannte die Vorgänge bei Open AI, bei denen der Verwaltungsrat CEO Altman am Freitag überraschend abgesetzt hatte, eine «peinliche Zirkusvorstellung». Erst mit dem Eingriff von Nadella hätten die „Erwachsenen im Raum übernommen“. Die Microsoft-Aktie schloss am Montag zwei Prozent im Plus auf einem Allzeithoch von 377,44 Dollar.
Tatsächlich hat Nadella auf den Blick einen Coup für Microsoft gelandet: Mit der Einstellung von Altman ist der Konzern nicht länger auf ein weitgehend unabhängiges Startup angewiesen, sondern kann sich das Fachwissen von Altman und seinem Team direkt ins Haus holen.
Nadella betonte denn auch, Microsoft bleibe das global «innovativste Technologieunternehmen». Man hätte die führenden KI-Modelle auch intern entwickeln können, sich aber einst bewusst für die Partnerschaft mit Open AI entschieden. Zum jetzigen Zeitpunkt sei klar, dass sich „etwas an der Unternehmensführung ändern muss“, so Nadella. Microsoft führt darüber „einen guten Dialog“ mit dem Open-AI-Verwaltungsrat.
Ob Altman Microsoft-Angestellter ist, bleibt offen
Auf die Frage, ob Altman nun Microsoft-Angestellter sei und seine Mitarbeiter mitnehme, reagierte Nadella indes ausweichend. „Das ist die Entscheidung des Open-AI-Verwaltungsrats, des Managements und der Mitarbeiter.“ Die Partnerschaft mit Open AI hängt „natürlich davon ab, ob die Leute bei Open AI bleiben oder zu Microsoft kommen“. Er sei für beide Optionen offen.
Dazu gibt es eine Meldung des gewöhnlich gut informierten Portals „The Verge“ vom Montagabend, dass Altman und der ebenfalls ausgeschiedene Verwaltungsratspräsident und Altman-Vertraute Greg Brockman immer noch versuchten, zu Open AI zurückzukehren – wenn die verbliebenen Ratsmitglieder zurücktreten.
Am Montag erklärte der Chefwissenschaftler Ilya Sutskever, der als Verwaltungsratsmitglied Altman am Freitag gefeuert und sich noch am Sonntag gegen seine Rückkehr ausgesprochen hatte, auf der Plattform X (vormals Twitter), seine Aktion «zutiefst» zu bedauern: «Ich hatte nie die Absicht, Offene KI zu Schaden.» Sutskever unterschrieb außerdem einen offenen Brief von mehr als 730 der 770 Mitarbeiter von Open AI – immerhin 95 Prozent der Belegschaft –, in dem sie den Rat zum Rücktritt auffordern und damit drohen, für Altman und Microsoft arbeiten zu wollen.
Tritt der Verwaltungsrat zurück?
Ist das denkbar? Ein Altman-Vertrauter sagte dem «Handelsblatt», ein solcher Schritt sei alles andere als ausgeschlossen. Ein Microsoft-Insider erklärte in derselben Zeitung am Montag, es sei möglich, dass die Ankündigung Nadellas vor Börseneröffnung, Altman einstellen, dazu gedient habe, Druck herauszunehmen.
„Vielleicht wird Altman kurzzeitig geparkt, damit er keinen Unsinn macht und zur Konkurrenz abhaut“, so der Insider. Danach sei alles möglich – auch, dass er als Chef zurückkehre, ein unabhängiges Unternehmen führe oder Microsoft gar die gewinnorientierte Einheit von Open AI übernehme, wenn das rechtlich möglich sei.
Der Microsoft-Chef Nadella weiß, dass die Konkurrenz das Chaos bei Open AI, in das Microsoft 13 Milliarden Dollar investiert hatte, genau verfolgt hat. In der kommenden Woche hält der Cloud-Konkurrent Amazon Web Services (AWS) seine Entwicklerkonferenz ab. Eines der Ziele: neue KI-Talente für AWS gewinnen.
Und der Salesforce-Chef Marc Benioff warb am Montag auf der Plattform X mit sofortiger Einstellung. „Salesforce bietet jedem Open-AI-Forscher, der seine Kündigung eingereicht hat, eine volle Bar- und Kapitalbeteiligung“, schrieb Benioff. „Senden Sie mir Ihren Lebenslauf.“ Auch Google soll interessiert sein.
Salesforce wird jeden OpenAI-Forscher, der seinen Rücktritt eingereicht hat, mit voller Geld- und Eigenkapitalbeteiligung (OTE) unterstützen, um sofort unserem Salesforce Einstein Trusted AI-Forschungsteam unter Silvio Savarese beizutreten. Senden Sie mir Ihren Lebenslauf direkt an ceo@salesforce.com. Einstein ist der erfolgreichste… pic.twitter.com/1RXoc9ekeo
— Marc Benioff (@Benioff) 20. November 2023
Experten sollen nicht zur Konkurrenz abwandern
Gemeinsame Analysten sollten Nadella den Abgang von Experten zur Konkurrenz unbedingt verhindern. Microsofts Börsenwert ist seit der Bekanntgabe der letzten Open-AI-Investition im Januar um über 980 Milliarden Dollar gestiegen. Der Stifel-Analyst Brad Reback schrieb am Montag, dass „dies das erste Mal seit über zwei Jahrzehnten ist, dass (Microsoft) bei einem aufkommenden Techniktrend nicht hinterherläuft“. Microsofts Kunden müssen sich demnach darauf verlassen können, dass das Open-AI-Drama nicht Microsofts KI-Projekte durcheinanderbringt.
Laut Brendan Burke vom Analysehaus Pitchbook verzögerte sich das neueste Modell von Open AI, GPT-5, aufgrund des Chaos erneut. Das Microsoft-interne KI-Forschungslabor bleibt hinter der Konkurrenz zurück und wird auch durch neue Talente «nicht sofort so effektiv werden wie Open AI». Gleichzeitig hatten Wettbewerber in über zwanzig konkurrierende KI-Startups investiert, darunter zehn mit einer Milliardenbewertung. Diese hatten nun „ein Zeitfenster, um grundlegende Durchbrüche zu erzielen“.
Tatsächlich hat Nadella die Zukunft des Konzerns stark an Open AI ausgerichtet. Ende Januar kündigte er mehrjährige Investitionen über rund 10 Milliarden Dollar an.
Mit den Risiken wächst der Druck
Am Montag hatte sich der Druck auf die verbliebenen Altman-kritischen Verwaltungsratsmitglieder – den CEO der Plattform Quora, Adam D’Angelo, die Ex-Chefin von GeoSim Systems, Tasha McCauley, und Helen Toner vom Center for Security and Emerging Technology in Georgetown – weiter erhöht. Im Internet erklärten Open-AI-Mitarbeiter, zurzeit die «Stabilität und Sicherheit» der Systeme sicherzustellen.
Angesichts des offenen Machtkampfs sind indes die kurzfristigen Risiken für Microsoft immens. Nadella hat die KI-Modelle von Open AI in nahezu alle Produkte des Unternehmens integriert. Der „Microsoft 365 Copilot“ genannte Assistent unterstützt in Programmen wie Word, Powerpoint oder Excel. Dafür verlangt Microsoft einen Aufschlag von 30 Dollar im Monat. Sollte Open AI kollabieren oder sollten die KI-Schnittstellen der Firma fehleranfällig werden, würde das unmittelbar Microsofts Produkte schädigen.
Ein Hinweis an @OpenAI-Entwickler 🫶:
Ich wollte meine Wertschätzung für all die herzlichen, nachdenklichen und unterstützenden Nachrichten zum Ausdruck bringen, die ich erhalten habe und die ich in der gesamten Community gesehen habe.
Trotz eines Moments der Unsicherheit blieb unser Engagement für Entwickler standhaft.
In der Zwischenzeit,…
– Logan.GPT (@OfficialLoganK) 20. November 2023
Auch hat Microsoft enorme neue Investitionen auf Basis der Open-AI-Partnerschaft in die Wege geleitet. Die Finanzchefin Amy Hood hatte im Juli gegenüber Analysten deutlich steigende Ausgaben für Datenzentren angekündigt. „Wir gehen davon aus, dass die Investitionen in unsere technische Infrastruktur in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 zunehmen und 2024 weiter steigen werden“, so Hood damals. Der Halbleiterspezialist Dylan Patel schätzte die Ausgaben auf mehr als 50 Milliarden Dollar im Jahr. „Microsoft führt derzeit den größten Ausbau der Infrastruktur durch, den die Menschheit je gesehen hat“, schrieb er.
Diese Infrastruktur ist teilweise direkt auf die Anforderungen von Open AI zugeschnitten. Microsoft kann sie zwar grundsätzlich an neue Projekte anpassen und damit auch Altman und seinem Team helfen. Kurzfristig könnte ein Kollaps von Open AI Microsoft aber erheblichen Schaden verursachen – beim Aktienkurs und beim Kundenvertrauen.
Altman erklärte am Montag auf X, seine oberste bestehe nach wie vor darin, „sicherzustellen, dass Open AI weiter floriert“. Er und Microsoft hätten sich verpflichtet, «die Kontinuität des Betriebs vollständig zu gewährleisten».