Die MiFID II-Richtlinie (Markets in Financial Instruments Directive II) hat das Ziel, den Anlegerschutz innerhalb der Europäischen Union zu stärken. Ein zentrales Instrument dafür ist die Geeignetheitsprüfung. Diese stellt sicher, dass Anlageempfehlungen oder Portfolioverwaltungsleistungen genau auf die persönlichen Bedürfnisse, Kenntnisse, Erfahrungen und Ziele des Kunden abgestimmt sind.
In diesem Artikel beantworten wir die häufigsten Fragen zur MiFID-Geeignetheitsprüfung, zeigen regulatorische Anforderungen auf und geben praxisnahe Umsetzungstipps für Finanzdienstleister.
Was ist die MiFID Geeignetheitsprüfung?
Die Geeignetheitsprüfung (engl. „suitability assessment“) ist eine gesetzlich vorgeschriebene Analyse, die ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen durchführen muss, bevor es einem Kunden eine persönliche Empfehlung zu einer Finanzanlage gibt oder Portfolioverwaltung anbietet. Sie prüft, ob die vorgeschlagene Anlage für den Kunden geeignet ist.
Für wen ist die Geeignetheitsprüfung verpflichtend?
Die Geeignetheitsprüfung ist vorgeschrieben, wenn:
- Anlageberatung erbracht wird
- Portfolioverwaltung durchgeführt wird
Sie gilt nicht bei der bloßen Ausführung von Kundenaufträgen ohne Beratung (sog. Execution-only), hierfür greift stattdessen die Angemessenheitsprüfung.
Welche Kundendaten müssen erhoben werden?
Die Anforderungen gemäß MiFID II umfassen die Erhebung und Dokumentation folgender Informationen:
- Finanzielle Verhältnisse
Einkommen, Vermögen, Schulden, Liquidität - Anlageziele
Anlagehorizont, Renditeerwartung, Risikobereitschaft, Nachhaltigkeitspräferenzen - Kenntnisse und Erfahrungen
Vorwissen zu Anlageprodukten, Häufigkeit früherer Transaktionen, Komplexität der Produkte
Diese Informationen bilden die Grundlage für die Beurteilung, ob ein konkretes Produkt oder eine Strategie geeignet ist.
Welche rechtlichen Grundlagen gelten?
Die Geeignetheitsprüfung beruht auf:
- MiFID II – Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2014/65/EU
- Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 – enthält konkrete Ausführungsvorgaben
- Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) – nationale Umsetzung in Deutschland, § 64 Abs. 4 WpHG
- ESMA Leitlinien zur Geeignetheit – interpretieren und präzisieren die Anforderungen
Was ist das Ziel der Geeignetheitsprüfung?
- Verhinderung von Fehlberatungen
- Sicherstellung von produktgerechter und anlegergerechter Beratung
- Schutz des Kundenvermögens
- Förderung von Vertrauen in den Kapitalmarkt
Wie läuft die Geeignetheitsprüfung in der Praxis ab?
Schritt-für-Schritt:
- Kundenbefragung zu Zielen, Kenntnissen, Vermögen etc.
- Dokumentation der Informationen
- Abgleich mit den Eigenschaften des Anlageprodukts
- Beurteilung der Geeignetheit
- Geeignetheitserklärung an den Kunden (vor Vertragsschluss)
Was ist eine Geeignetheitserklärung?
Die Geeignetheitserklärung ist ein schriftliches Dokument, in dem die Gründe für die Empfehlung eines bestimmten Produkts dargelegt werden. Sie muss dem Kunden vor Vertragsabschluss zur Verfügung gestellt werden. Die Einführung von Standardsoftware verbessert Skalierbarkeit und Effizienz.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Umsetzung?
- Komplexität der Kundenerhebung: besonders bei Nachhaltigkeitspräferenzen (Stichwort: ESG)
- IT-seitige Unterstützung durch geeignete Erfassungssysteme
- Beraterschulung: Einheitlichkeit und Vollständigkeit der Erhebung
- Dokumentationspflichten: hohes Maß an formaler Genauigkeit erforderlich
Was passiert, wenn die Prüfung unvollständig ist?
Fehlerhafte oder unterlassene Geeignetheitsprüfungen können zu:
- Haftungsfällen
- Vertragsrückabwicklungen
- Bußgeldern durch Aufsichtsbehörden
- Verlust des Kundenvertrauens
führen. Daher ist eine ordnungsgemäße Umsetzung auch aus Risikoperspektive entscheidend.
Wie unterscheiden sich Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung?
Merkmal | Geeignetheitsprüfung | Angemessenheitsprüfung |
Anwendungsfall | Beratung, Portfolioverwaltung | Execution-only ohne Beratung |
Ziel | Produkt passt zu Kundenzielen | Kunde versteht Produkt |
Erforderliche Infos | Ziele, Vermögen, Wissen, Erfahrung | Wissen und Erfahrung |
Dokumentationspflicht | Ja, mit Erklärung | Eingeschränkt |
Müssen Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden?
Ja. Seit August 2022 sind auch Nachhaltigkeitspräferenzen in der Geeignetheitsprüfung zu erfassen. Kunden sollen angeben, ob und wie stark sie Nachhaltigkeitskriterien (z. B. Umweltziele, soziale Aspekte, Governance) in ihre Anlageentscheidungen einfließen lassen möchten.
Welche Best Practices gibt es zur Umsetzung?
- Digitale Tools nutzen
Zur standardisierten Erhebung und Validierung der Kundendaten - Berater regelmäßig schulen
Insbesondere zu ESG-Kriterien, Produktkenntnis und Dokumentationsanforderungen - Kundenunterlagen verständlich gestalten
Geeignetheitserklärungen sollten transparent, einfach und vollständig sein - Ergebnisse in Beratungsgespräche integrieren
Keine isolierte Pflichtübung, sondern Teil einer ganzheitlichen Kundenbetreuung - Automatisierte Prüfmechanismen einbauen
Systeme sollten anzeigen, wenn Daten fehlen oder Widersprüche bestehen
Wie oft muss die Geeignetheit überprüft werden?
Die Prüfung muss vor jeder Empfehlung erneut erfolgen, sofern sich Kundeninformationen wesentlich geändert haben. Es wird empfohlen, eine regelmäßige Aktualisierung (z. B. jährlich) durchzuführen.
Was sind häufige Fehler in der Praxis?
- Unvollständige Erhebung (z. B. keine Angaben zu Anlagezielen)
- Pauschale Produktzuweisungen ohne individuellen Bezug
- Keine Erklärung, warum ein Produkt empfohlen wurde
- Missachtung von ESG-Vorgaben
- Veraltete Kundendaten
Die MiFID-Geeignetheitsprüfung ist ein zentrales Element des Anlegerschutzes in Europa. Sie verlangt nicht nur formale Vorgaben, sondern auch ein tiefes Verständnis der Kundensituation sowie eine sorgfältige Dokumentation. Für Finanzdienstleister bedeutet das: Beratungsprozesse müssen professionell, nachvollziehbar und kundenorientiert gestaltet sein. Wer die Anforderungen systematisch erfüllt, schützt nicht nur seine Kunden, sondern auch das eigene Unternehmen vor rechtlichen und reputativen Risiken.