Die ETH goes Germany: Die Weitsicht eines Milliardärs führt der Politik ihre eigene Kurzsichtigkeit vor
Der Milliardär und Lidl-Gründer Dieter Schwarz finanziert über seine Stiftung in Heilbronn eine umfassende Forschungskooperation zwischen dem dortigen Campus und der ETH. Es ist ein Glücksfall.
Die ETH geht mit dem Forschungsplatz Heilbronn eine Kooperation ein: Gemeinsam bauen sie umfangreiche Lehr- und Forschungskapazitäten sowohl in Heilbronn als auch in Zürich auf. Finanziert wird das Ganze von einem deutschen Milliardär. Im Zentrum steht die Zukunftstechnologie Nummer eins: künstliche Intelligenz.
Der schweizerisch-deutsche, mit privaten Geldern finanzierte Forschungszusammenschluss ist ein gutes Zeichen – in vielerlei Hinsicht.
Der Forschungsstandort braucht mehr als Lastenräder
Fangen wir mit der in der Konstellation wohl umstrittensten Person an: Dieter Schwarz – der es mit dem Aufbau der Detailhandelskette Lidl zu einem beachtlichen Vermögen gebracht hat; Laut „Forbes“ sind es 48 Milliarden Dollar. Offenbar sorgt er sich um den Forschungsstandort Deutschland – wohl zu Recht, wenn die ideologische Infiltration der Bildungsstätten als Massstab genommen wird. Mit dem Lastenfahrrad wird die Nation der Dichter und Denker im weltwirtschaftlichen Wettbewerb nicht auf den vorderen Plätzen mitfahren können.
Die wichtigste Technologie der nächsten Jahrzehnte dürfte künstliche Intelligenz sein – und wenn wir uns heute noch mit Chat-GPT amüsieren, versprechen diese und ähnliche Technologien in den nächsten Jahrzehnten der Wirtschaft enorme Produktivitätsgewinne. Wer wüsste besser um den so generierten Wettbewerbsvorteil als Dieter Schwarz – der trotz dem harten Wettbewerb im deutschen Detailhandel Milliarden verdient hat. Mit seiner Spende setzt er ein wichtiges Zeichen der Verantwortung.
Von der grenzüberschreitenden Kooperation der ETH und Heilbronn geht ein weiteres positives Signal aus. Deutschland und die Schweiz sind ein Kulturraum, und beide Länder können nur gewinnen, wenn sie sich auf allen Märkten austauschen und zusammenarbeiten – besonders auch in der Wissenschaft und angewandten Forschung.
Die Kooperation ist ein kleiner Ausgleich für «Horizon»
Mit der Kooperation wird nun im Kleinen ein Teil davon wieder aufgebaut, was die große Politik vermasselt hat: Die EU hatte die Schweiz unlängst vom milliardenschweren Forschungsprogramm «Horizon» ausgeschlossen – um sie zu Zugeständnissen bei Verhandlungen zu den bilateralen Verträgen zu bewegen. Die Millionen eines Milliardärs können diese Lücke nicht füllen, gleichwohl sind sie ein Symbol der Vernunft und des Weitblicks – womit sich die Politik bezogen auf den Fall «Horizon» nicht rühmen kann.
Und es finden mit dem Technologie-Hub Heilbronn und der ETH zwei Partner zusammen, die sich alles zu geben haben. Die ETH gehört zu den weltbesten Universitäten, und die süddeutsche Region verwaltet etwa mit dem KI-Unternehmen Aleph Alpha einen der Hoffnungsträger in diesem Bereich in Europa. Deutschlands zahlreiche Mittelstandsunternehmen und Technologieführer wie Trumpf oder Bosch sind ideale Partner für Forschung und Lehre im Bereich KI: Sie haben die Daten, mit denen Modelle trainiert werden können, und sie geben wichtige Impulse dafür, was eine KI kann muss.
Wenn sich Technologie schnell weiter entwickeln soll, dann braucht es Unternehmen, die diese Technologien anwenden, es braucht Forscher, die sie weiterentwickeln, Firmen, die die Forscherkenntnisse in Geschäftsmodelle umsetzen, und Kapitalgeber, die Forschungs- und Geschäftsideen finanzieren. Es sind solche Cluster – wie sie etwa im Silicon Valley oder im Gebiet um Boston entstanden sind –, in denen Unternehmertum, Forschung und Kapitalgeber sich gegenseitig zu neuen Höhen aufschwingen können. Von amerikanischen Dimensionen ist Heilbronn weit entfernt – nun aber zumindest ein Stückchen näher dran.
Die Ausgaben dürften den Wettbewerb unter den Unis anheizen
Gibt es auch Verlierer bei dem Vorhaben? Das Projekt ist noch nicht umgesetzt, und eine Bilanz wird man erst in ein paar Jahren ziehen können. Das Nachsehen aber schon heute die führenden Universitäten in Deutschland. Der eine oder andere Universitätspräsident wird sich in diesen Tagen die Frage seiner Professoren- und Studentenschaft gefallen lassen: «Warum haben Sie den Milliardär und die Schweizer Elite-Uni nicht für uns begeistern können?»