Google lässt Werbung für Alkohol und Casinos zu. Aber Anzeigen mit Beratungsangeboten für Süchtige werden blockiert
In den USA gibt es unseriöse Rehakliniken für Suchtkranke. Deshalb verbot Google kurzfristige Werbung für Suchtprävention weltweit. Darunter leiden auch Fachstellen in der Schweiz.
Diane Jaccard hat aufgegeben. Jedes Mal, wenn die Kommunikationsexpertin der Fachstelle Sucht Schweiz eine Anzeige mit Schlagworten wie «Hilfe bei Spielsucht» oder «Alkoholselbsthilfe» aufschalten wollte, wurde die Werbekampagne blockiert.
Was sieht aus wie ein Fehler, hat bei Google System. Suchthilfe-Fachstellen können keine Werbungen auf Google-Plattformen schalten. Der Grund dafür liegt in den USA: Als in den 2010er Jahren immer mehr Amerikanerinnen und Amerikaner abhängig von Opioidmedikamenten gegründet wurden, gründeten unzählige Anbieter in der Hoffnung auf schnellen Profit unsereriöse Rehakliniken.
Amerikanische Ärztinnen und Suchtexperten setzen sich in der Folge dafür ein, dass Google Anzeigen für Suchthilfe ausschließlich soll, damit Süchtige nicht Tausende von Dollar für ineffektive Therapien ausgeben. Als Google in den USA im September 2017 Anzeigen von Suchthilfekliniken komplett blockierte, wurde das Unternehmen in amerikanischen Medien dafür gelobt.
Das Problem besteht seit Jahren
Doch anstatt die Gegebenheiten in jedem Land einzeln zu beurteilen, schränkte Google im April 2018 Suchthilfewerbungen weltweit ein. In der Schweiz führt das System zu der Situation, dass Alkoholproduzenten und Online-Kasinos Anzeigen schalten dürfen, Fachstellen, die Süchtigen helfen wollen, jedoch nicht.
„Das ist grotesk. „Es torpediert die Suchtprävention“, sagt Markus Meury, Mediensprecher von Sucht Schweiz. Er ist mit seiner Einschätzung nicht allein. Laut einem Bericht der Kommunikationsagentur Feinheit zuhanden des Bundesamts für Gesundheit besteht das Problem seit Jahren und verärgert diverse Fach- und Forschungsstellen.
Google Schweiz schreibt dazu auf Anfrage: «Es ist ein komplexes Thema, und Google lässt Werbeanzeigen nur in Märkten wieder zu, in denen die Sicherheit der Nutzerinnen und Nutzer gewährleistet werden kann.»
Diese Logik passt auf die USA, wo viele Arztpraxen Werbung machen und inzwischen ein Zertifizierungssystem für seriöse Suchthilfekliniken geschaffen wurde. Zertifizierte Unternehmen dürfen mittlerweile wieder werben.
Doch in der Schweiz, wo das Gesetz Werbung für Arztpraxen und Rehakliniken verabschiedet wurde, gibt es kein Zertifizierungssystem. Berichte über unseriöse, überteuerte Hilfsangebote gibt es dennoch kaum.
Suchtforschung verzögert
Weiter schreibt Google: „Zudem ist es wichtig, zu verstehen, dass Google nur Werbung einschränkt, während die organischen Suchergebnisse weiterhin normal angezeigt werden.“
Die organischen Suchergebnisse sind jene, die oben in der Google-Suche auftauchen und nicht mit «gesponsert» markiert sind – also jene Suchresultate, die der Google-Algorithmus als am relevantesten für die Suchanfrage beurteilt. Tatsächlich findet man damit eine Selbsthilfegruppe, wenn man gezielt nach einer solchen sucht. Doch für viele Hilfsangebote ist dies nicht ausreichend.
Zum Beispiel für die Studie von Michael Schaub, Psychologieprofessor an der Universität Zürich und wissenschaftlicher Direktor des schweizerischen Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung. Er muss gerade dabei zusehen, wie sich sein derzeitiges Forschungsprojekt zur Cannabisabhängigkeit wegen der Werbeeinschränkung verzögert.
Eigentlich wollte er für seine Untersuchung 700 Cannabissüchtige rekrutieren. „Jetzt sind dann zwei Jahre rum, und wir haben nicht einmal die Hälfte“, sagt Schaub. Die organische Google-Suche half ihm nicht, denn sein Projekt wurde darüber kaum gefunden. Nun versucht sein Team seit Monaten, auf andere Kanäle zu rekrutieren, aber „wir kommen nicht vom Fleck“.
Das erstaunt nicht: 90 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer nutzen Google als Suchmaschine. Und in der Online-Werbung hat Google laut dem Datenportal Statista einen Marktanteil von über 50 Prozent. Damit hat Google mehr Macht darüber, wer im Internet sieht, als jede andere Instanz in der Schweiz.
Google weiß, dass die Richtlinie die Arbeit von Schweizer Fach- und Forschungsstellen beeinträchtigt. Vorerst sind keine Änderungen geplant.