Henning Rath leitet das China-Büro des deutschen Solarmodul-Vertreibers Enpal. Der Lieferketten-Chef äussert sich zu Chinas Dominanz, Europas Nachholbedarf und Zwangsarbeit in Xinjiang.
Herr Rath, im Online-Shop von Enpal findet man ausschliesslich chinesische Anbieter: Longi und JA Solar für Solarmodule, Huawei und Sungrow für Batteriespeicher und Wechselrichter. Warum?
China hat in den letzten zehn, eigentlich dreissig Jahren eine sehr starke Industriepolitik betrieben, die auf zukunftsträchtige Technologien fokussiert ist. Dazu gehören erneuerbare Energien. Deutschland war 2010 Technologieführer für Solarenergie und gründete dann mit Firmen wie der Schweizer Meyer-Burger sehr viele Anlagen in China. China hat diese Technologie angepasst, teilweise verbessert und in einer extrem hohen Geschwindigkeit hochskaliert. China hat einen Preisverfall verursacht, so dass es jetzt der Platzhirsch ist, absolute Weltspitze.
Führt Enpal noch irgendeinen nichtchinesischen Anbieter?
Ja, die Stromzähler sind deutsch.
Traurig, oder?
Das ist total schade. Aber in Deutschland gibt es nicht mehr viele Firmen, die Solarmodule in Massen produzieren können. Und wenn man in die Wertschöpfung tiefer geht, landet man schnell in China. Das Glas kommt oft aus China, die Zellen kommen aus China, der Rahmen kommt aus China und so weiter.
China hat laut der Internationalen Energieagentur bei jedem Produktionsschritt für Solarmodule einen weltweiten Marktanteil von mindestens 75 Prozent. Hat China diese Dominanz mit fairen Mitteln erreicht?
Natürlich hat die chinesische Regierung mit extremen Subventionen die Industrie aufgebaut. Ich sehe es so: Es braucht immer eine Anschubfinanzierung, um ein neues Geschäftsmodell an den Markt zu bringen. In Europa hat niemand den Regierungen verboten, auch so in die Solarenergie zu investieren.
In Europa gibt es strengere Regeln für staatliche Beihilfen. China hat derart große Kapazitäten aufgebaut, dass die Preise für Solarmodule in diesem Jahr abstürzten.
Auch chinesischen Konzernen fällt es gerade schwer, ohne Subventionen weiter zu produzieren. Wir sind an der Kostengrenze. Der Preis für ein Solarmodul mit der neuen Top-Con-Technologie liegt bei 13 oder 14 Eurocent pro Watt. Das sind quasi Produktionskosten.
Für Sie als Einkäufer ist das Prima.
Wir sehen das mit Sorge. Wir wollen einen stabilen Markt. Dass die Kosten sinken, ist normal, aber es sollte stabil geschehen. Die chinesische Regierung hat eine Mitschuld, dass die Kapazitäten so groß ausgebaut wurden.
Aus Europa und den USA gibt es Dumping-Vorwürfe gegen China. Halten Sie das für berechtigt?
Die momentanen Preise entstehen nicht durch Dumping, sondern durch normale Marktmechanismen. Europa hat Warenbestände aufgebaut, die jetzt mit der neuen Top-Con-Technologie abgewertet werden. Die chinesischen Konzerne geben extreme Preisnachlässe, um Abschreibungsverluste zu minimieren.
Die ersten Opfer des Preisverfalls dürften europäische Anbieter sein, die teurer produzieren als die chinesische Konkurrenz.
Ich war kürzlich auf einer Messe in Shanghai. Da gab es Hunderte von Startups für Wechselrichter und Batterien, weil die gemerkt haben, dass das ein Super Markt ist. Auch in China wird sich der Markt konsolidieren, also in den nächsten zwölf, achtzehn Monaten. Ich glaube, das ist gesund.
Enpal wurde 2017 gegründet, aber das China-Büro hier in Shenzhen haben Sie erst 2020 eröffnet. Wo hat Enpal vorher eingekauft?
Bei Grosshändlern in Europa. Wir haben zum Beispiel Q-Cells verbaut, von einer ursprünglich deutschen Firma, die nach Südkorea verkauft wurde. Aber produziert wurde damals schon alles in China. Seit der Eröffnung des China-Büros kaufen wir direkt bei den Produzenten.
Zwangsarbeit ist in der Solarindustrie ein großes Thema. Rund ein Drittel des weltweiten Polysiliziums, aus dem Solarzellen gefertigt werden, kommt aus Xinjiang. Alle Hersteller dort haben an «Arbeitstransfer»-Programmen der chinesischen Regierung teilgenommen, bei denen Uiguren und Angehörige anderer Turkvölker in Fabriken eingesetzt und offenbar festgehalten werden. Wie geht Enpal damit um?
Sehr aktiv. 50 Prozent unserer Mitarbeiter in China – wir sind hier rund 25 Leute – arbeiten in der Qualitätssicherung. Wir sind täglich bei unseren Produzenten. Wir kontrollieren die Stücklisten mit den Rohmaterialien, aus denen unsere Produkte gefertigt werden. Enpal hat einen Verhaltenskodex, wie unsere Lieferanten im Bereich der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit agieren.
Was steht da drin?
Dazu gehört, dass Zwangsarbeit und moderne Sklaverei verboten sind. Der Kodex wurde von allen unseren Lieferanten unterschrieben und wird gespeichert. Wir beziehen kein Polysilizium aus Xinjiang.
Wie können Sie das ausschließen? Enpals strategischer Partner Longi bezieht Polysilizium von allen großen chinesischen Produzenten und produziert diese wiederum alle in Xinjiang.
Wir definieren, aus welchen Gegenden wir glauben wollen. Zum Beispiel aus Yunnan im Südwesten Chinas. Das Polysilizium erhält eine Chargennummer. Dank der Dokumentation und unseres Besuchs bei Lieferanten können wir sicherstellen, dass unsere Produkte in der gewünschten Region hergestellt wurden. Doch wenn jemand betrügt, ist das für uns schwer verfolgbar. Wenn Sie zwei Lastwagen nehmen und zwei Ladungen Sand ineinanderkippen, wissen Sie nicht mehr, welches Sandkorn woher kommt.
Deutschland hat seit 2021 ein Lieferkettengesetz, das Kritiker für bürokratisch und unpraktisch halten. Was denken Sie?
Ich finde die Idee des Gesetzes super. Es strebt eine gerechtere Welt an. Die Umsetzung hakt. Das Gesetz besagt, dass man alles in seiner Macht tun muss, um sicherzustellen, dass keine Regeln verletzt wurden. Da ist viel Interpretationsspielraum.
Kommen wir zu Europa. Der Branchenverband Solar Power Europe will mehr Subventionen, um die heimische Industrie zu stärken. Was halten Sie davon?
Wir brauchen Subventionen, aber nur als Anschub und um über einen gewissen Zeitraum die Betriebskosten zu decken. Ich bin kein Fan des amerikanischen Inflation Reduction Act, weil dieses Gesetz einfach Produktionskapazitäten subventioniert. Wenn diese Subventionen wegfallen, werden die Produzenten wieder nicht wettbewerbsfähig sein.
Ist der Zug für Europa nicht abgefahren?
Wir haben mit dem Fraunhofer und anderen Instituten immer noch Weltmarktführer-Technologie. Wir schaffen es nur nicht, sie in Europa zu produzieren. Jeder muss seinen Teil dazu beitragen: Die Politik muss Subventionen für einen bestimmten Zeitraum garantieren. Die Industrie muss investieren. Die Abnehmer müssen einen gewissen Mehrpreis hinnehmen. Dann kann es funktionieren.
Weltweit gibt es Produktionskapazitäten von rund 700 Gigawatt, das allermeiste davon in China. Was kann Europa da ausrichten?
Ein Gigawatt in Europa gegen 700 Gigawatt in China macht keinen Sinn. Wir brauchen 20, 30 oder 40 Gigawatt. Und zwar vertikal integriert, von der Mine über die Produktion von Polysilizium bis zum Modulbau.
Enpal hat dazu einen Plan entwickelt. Sie wollen chinesische Hersteller nach Europa holen. Ausgerechnet.
Die Chinesen sind geführt. Warum nicht von ihnen lernen? In der Vergangenheit sind Amerika und der Westen insgesamt nach China gekommen, haben Technologie mitgebracht – und sich dann beschwert, dass die Chinesen das irgendwann adaptiert und selbst gemacht haben. Warum sollten wir jetzt nicht umgekehrt mit den chinesischen Leuchtturmprojekten machen?
Warum sollte Europa chinesische Firmen subventionieren?
Es gibt Joint Ventures, die auch für Europa Sinn ergeben. Es geht nicht darum, dass chinesische Konzerne Subventionen abgreifen, sondern dass Produkte für lokale Abnehmer lokal produziert werden, mit marktführenden Technologien, die nun halt aus China kommen.
Welches Interesse hätte China an Ihrem Plan?
Ich rede viel mit CEOs chinesischer Solarkonzernen. Europa ist für sie extrem interessant. Geopolitisch ist das Verhältnis noch ein besseres als zu den USA. Und der Markt ist sehr interessant. Aber es ist noch unklar, ob die Subventionen, die im Raum stehen, auch wirklich ausgeschüttet werden.
Das deutsche Wirtschaftsministerium sondiert, welche Produzenten bei entsprechenden Subventionen in die deutsche Solarbranche investieren würden. Was halten Sie von dem Verfahren?
Enpal nimmt daran sehr aktiv teil. Wir sehen uns als Brückenbauer zwischen China und Europa. Ich lade europäische CEOs und Executives nach China ein und bringe sie mit chinesischen CEOs an einen Tisch, um über Ideen und Konzepte zu diskutieren. Wir sehen uns ausschließlich als Abnehmer europäischer Produkte und eventuell auch als Investor.
Sie sind dazu mit Herbert Diess in Kontakt, der 2022 als Volkswagen-Chef zurücktrat. Warum mit ihm?
Herbert Diess ist ein guter Unternehmer, und er hat jetzt gerade Zeit. Ich glaube, durch die Umstellung auf E-Autos bei VW hat er auch noch mal einen sehr klaren Blick darauf bekommen, dass die Elektrifizierung durch erneuerbare Energien eine Win-win-Sache ist. Das ist ein neuer Markt für acht Milliarden Menschen auf der Welt.
Erst einmal aber kauft Enpal neuerdings Solarmodule in Indien. Warum?
Indien hat eine spannende Industriepolitik. Der Production Linked Incentives Act hat als Ziel, dort vertikal integrierte Lieferketten anzusiedeln, wie in China. In Indien gibt es jetzt Konzerne wie Adani, Reliance und Renew, die viel Geld in Produktionskapazitäten investieren. Wir möchten Teil davon sein.
China hat im Sommer Exportbeschränkungen für Germanium eingeführt, das auch in Solarzellen verwendet wird. Spürt Enpal die Auswirkungen?
Nein. Da es sich um Rohstoffe handelt, nicht um verarbeitete Materialien.
Fürchtet Enpal, dass China eines Tages im Konflikt mit dem Westen seine Dominanz in der Solarindustrie für Strafmassnahmen nutzen könnte?
Natürlich ist das immer ein Gedanke, den wir im Hinterkopf haben. Wir adressieren ihn jetzt auch proaktiv mit unserer «China plus X»-Strategie. Wird China seine Lieferketten in einem geopolitischen Konflikt zerstören? Ich glaube nicht. Aber könnte es dazu kommen, dass der Westen China mit Sanktionen belegt und China antwortet? Ja. Für diesen Konjunktiv bereiten wir uns vor.
Fällt auch China auf Taiwan angreift?
Da es in Asien verschiedene Szenarien gibt. Taiwan ist eines davon.