Die Siegerinnen des Schweizer KI-Wettbewerbs sagen: «Wir hatten praktisch keine Ahnung von künstlicher Intelligenz»
Die Geschichte der Aargauer Maturandinnen Lilly Rullkötter und Emmelot Sutmuller zeigt: Man muss kein Nerd sein, um einem Computerprogramm etwas beizubringen.
Versucht geht über studieren: Lilly (Links) und Emmelot, die beiden Siegerinnen des KI-Wettbewerbs für Jugendliche an der ETH Zürich.
Sie haben es ausprobiert. Einfach so, mit überschaubaren Vorkenntnissen. Sie waren nicht einmal in der gleichen Klasse. Kennengelernt haben sich die Aargauer Maturandinnen Lilly Rullkötter und Emmelot Sutmuller erst im Projektunterricht Informatik an ihrem Gymnasium in Wohlen – in einer Gruppe, in der die anderen Schüler bereits wussten, was sie in dem Semester machen wollten. Einen Schachcomputer programmieren beispielsweise. Oder einen Bildgenerator, der mit künstlicher Intelligenz (KI) funktioniert.
Typisch Informatik, typisch Nerds, so könnte man sich denken.
Emmelot und Lilly waren jedoch ganz anders unterwegs. Emmelot sagt: „Wir hatten praktisch keine Ahnung von KI. Und auch keine Idee für ein eigenes Projekt. Aber dann hat uns der Lehrer auf den Wettbewerb aufmerksam gemacht.» Die Ausschreibung der ETH Zürich für KI-interessierte Jugendliche fand dieses Jahr zum ersten Mal statt. Die beiden Schülerinnen beschlossen, mitzumachen – und gewannen prompt, in der Kategorie Creative Coding.
Das war im vergangenen Frühling. Sie müssen immer noch lachen, wenn Sie davon erzählen.
Sag mir, was ich anziehen soll
Die Idee der beiden Einsteigerinnen hat die Jury offenbar überzeugt: Wie wäre es, wenn man morgens vor dem Kleiderschrank oder der Kommode nicht mehr lange hin und her überlegen müsste, was man denn nun anziehen soll, sondern dank einer intelligenten App gleich ein paar Vorschläge erhielte – und zwar passgenau zu den Wetteraussichten an dem Tag? Das klingt bestechend.
Der Journalist denkt bereits an seine Garderobe zu Hause und an einen persönlichen Fashion-Berater auf dem Smartphone. Nie mehr zu dick oder zu leicht angezogen aus dem Haus, das wäre praktisch! Aber dann zeigt sich, dass beim Treffen für diesen Text an der Kanti in Wohlen zwei Welten aufeinanderprallen. Der Autor dieses Artikels hatte keine Informatik in der Schule. Daher auch die überzogene Erwartung, dass er nun eine fixfertige App zu sehen bekommt.
Emmelot und Lilly codieren hingegen seit der ersten Klasse am Gymnasium. Das Fach ist obligatorisch für alle Mittelschüler in dem Kanton. Und so müssen die beiden Schülerinnen ihre Gesprächspartner enttäuschen: Eine App haben sie nicht entwickelt. Das wäre viel zu aufwendig gewesen. Sie haben das gemacht, was Informatiker normalerweise tun: programmieren, Codes zusammensetzen, Block für Block, Zeile für Zeile.
Ungefähr also:
Und so weiter. Auch random_pullover, random_coat und random_ankleboot erhielten eigene Zeilen. Bis das Programm die gewünschten Befehle ausführen konnte. Emmelot tippt am Bildschirm ihres Tablets ihren Standort ein: Wohlen. Und ihr Geschlecht: F. Dann legt die Maschine los:
Und nach wenigen Sekunden steht da:
Die Idee der beiden Schülerinnen klingt bestechend: eine App, die einem Vorschläge macht, was man anziehen soll – passend zum Wetterbericht.
Begleitet wird dieser schriftliche Tipp vom Herzstück des Projekts: Das Programm zeigt Bilder einer Hose, eines T-Shirts und eines Pullovers an. In verpixelter Form zwar, aber so bekommt man eine Vorstellung davon, wie der Kleiderberater von Lilly und Emmelot dereinst funktionieren könnte: Er kennt die Garderobe seiner Nutzer, da er Fotos von den Kleidern gespeichert hat. Mit diesen Informationen kann er je nach Wetter ein passendes Outfit zusammenstellen, zumindest in der Theorie.
Lilly sagt: «Ich spiel viel!»
Doch in der Praxis gab es ein Problem: Das Programm erkannte die Fotos nicht, die die beiden hochgeladen hatten. Einen Schuh verwechselte die künstliche Intelligenz zum Beispiel mit einem T-Shirt. Das neuronale Netzwerk konnte sich die Bilder nicht richtig merken. Die Schülerinnen mussten sich etwas einfallen lassen. Ihre Lösung: Mit einem Datensatz des Versandhändlers Zalando klappte die Bilderkennung ziemlich gut. Davon haben die beiden auf Kaggle erfahren, einer Plattform der internationalen KI-Community.
So konnte sie beim Wettbewerb der ETH ein Projekt einreichen, das zumindest in seinen Grundzügen funktionierte. Die Teenager sind sich einig: Ohne den KI-Wettbewerb hätten sie das niemals durchgezogen. Mit der Anmeldung hatten sie ein Ziel vor Augen. Begleitet wurden sie zwar von einem Doktoranden der Hochschule. Aber sie seien von Anfang an sehr selbständig gewesen, sagt der Coach. Er habe ihnen zu Beginn lediglich ein paar Tipps gegeben.
Und jetzt? Werden Lilly und Emmelot zur viel umworbenen Generation gehören, die den Mangel an technischen Fachkräften entschärfen soll?
Lilly hatte sich kurz überlegt, die unfertige Outfit-App ins Ziel zu bringen. Aber dann hatte sie eine andere Idee: In ihrer Reifearbeit untersuchte sie, wie viel Aluminium von Kaffeekapseln am Ende im Kaffee landet. Emmelot hat zwei literarische Bücher miteinander verglichen. Sie sagt: „Nach dem vielen Codieren wollte ich etwas komplett anderes machen.“ Sie lesen viel und sei lieber draussen, als ständig am Bildschirm zu kleben.
Lilly ist dagegen oft am Computer. «Ich spiel viel!» Sie interessieren sich für sehr viele Dinge. Daher habe es in ihrem Umfeld auch niemanden überrascht zu hören, dass sie bei einem KI-Wettbewerb mitmache. Die 17-Jährigen haben klare Vorstellungen: Sie werden an der ETH studieren, vielleicht Biochemie. Emmelot hat Ähnliches vor: Sie interessiert sich für interdisziplinäre Naturwissenschaften.
Für den KI-Wettbewerb 2024 können weiterhin Projekte eingereicht werden. Die ETH teilt mit, dass die Timeline verschoben werden musste. Weitere Informationen: ki-wettbewerb.ch.