Tiktok-Verbot in den USA: Repräsentantenhaus setzt Videoplattform unter Druck
Das amerikanische Repräsentantenhaus verabschiedete eine Vorlage, die den chinesischen Tiktok-Eigentümern unter Druck setzen soll: Nimmt auch der Senat das Gesetz an, müsste Bytedance sein US-Geschäft an ein amerikanisches Unternehmen verkaufen – oder aus den USA verschwinden.
Das amerikanische Repräsentantenhaus hat am Mittwoch den bis dato deutlichsten Schritt in Richtung eines Verbots der Videoplattform Tiktok unternommen.
Mit einer klaren Mehrheit von 352 Stimmen hat die große Kongresskammer eine Gesetzesvorlage verabschiedet, die Tiktoks chinesischer Mutterkonzern Bytedance zwingt, die Videoplattform an einen amerikanischen Investor zu verkaufen – oder aus App-Stores in den USA verbannt zu werden, was einem landesweiten Verbot gleichkäme. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes hätte Tiktok fünf Monate Zeit, sich zu entscheiden.
In den Augen zahlreicher amerikanischer Politiker beider Parteien ist Tiktok ein verlängerter Arm der Propagandamaschine Pekings. Gemäss dem jüngsten Bedrohungsbericht der amerikanischen Nachrichtendienste gab es dafür während der Zwischenwahlen 2022 Beispiele.
Seit Jahren versuchen die USA deshalb, Tiktoks Verbreitung auf mitgliedstaatlicher wie landesweiter Ebene zu unterbinden. Viele Vorstösse versandeten jedoch, das konkreteste Ergebnis ist bislang, dass Tiktok die Nutzerdaten in den USA auf den Servern eines amerikanischen Herstellers speichern muss und dass Regierungsbeamte die App nicht auf ihren Diensthandys installieren dürfen. Derweil wird die Videoplattform immer beliebter und gehört heute zu den Top 5 der beliebtesten sozialen Netzwerke der USA, rund 170 Millionen Amerikaner sind dort registriert.
Parteiübergreifende Zusammenarbeit überrascht
Die Lobbyisten von Tiktok dürften darauf hoffen, dass der politisch tief gespaltene Kongress sich auf keine Vorlage einigen kann; Nicht umsonst lautet ein Witz unter Hauptstadtjournalisten, dass man sich auf dem Capitol nicht einmal darauf verlassen konnte, was es zum Mittagessen geben soll.
Dass eine Vorlage zum Tiktok-Verbot nun in Windeseile erarbeitet und tatsächlich verabschiedet wurde, erklärt sich mit der parteiübergreifenden Vorarbeit im zuständigen Ausschuss. Auch die stellvertretende Justizministerin Lisa Monaco als Verbindungsglied zum Weißen Haus hatte dabei mitgewirkt, um sicherzustellen, dass Präsident Joe Biden die von dem republikanisch dominierten Repräsentantenhaus ausgearbeitete Vorlage unterstützen würde. Tatsächlich hatte Biden die vergangene Woche öffentlich angekündigt, was dem Gesetz Rückenwind verschaffte.
Nun liegt der Ball beim Senat – doch ob diese Vorlage annehmen wird, ist völlig offen. Den Demokraten fehlen in der kleinen Kammer 9 Stimmen für die für Gesetzesvorhaben nötige qualifizierte Mehrheit von 60 Stimmen. Die Republikaner wiederum sind ob der Vorlage gespalten: Einige Senatoren wie Marco Rubio aus Florida plädieren seit Jahren für ein Tiktok-Verbot als Ausdruck einer harten Haltung gegenüber Peking. Am anderen Ende des Spektrums steht der libertäre Rand Paul, der sich vehement gegen eine solche staatliche Intervention ausspricht. Er hat bereits erklärt, mit prozeduralen Einwänden die Vorlage zu Fall bringen zu wollen.
Dazwischen stehen Senatoren wie Lindsey Graham aus South Carolina. „Vielleicht ist ein Tiktok-Verbot notwendig, um amerikanische Daten vor China zu schützen.“ „Aber wenn wir eine andere Lösung finden, wäre es auch gut“, sagte Graham am Wochenende in der Nachrichtensendung „Meet the Press“.
Die Republikaner stecken in einer Zwickmühle: Einerseits positionieren sie sich als China-Kritiker; Andererseits würde sie mit einem Verbot bei Donald Trump anecken. Nachdem dieser die Plattform jahrelang kritisiert hatte und mit einer präsidialen Exekutivanweisung 2020 verbieten wollte, hat er vergangene Woche plötzlich erklärt, dass man Tiktok besser doch nicht verbieten sollte.
Eine Erklärung für diese 180-Grad-Wendung könnte sich wie so oft beim Geld finden: Der amerikanische Milliardär Jeff Yass hält nicht nur einen Anteil von 7 Prozent an Bytedance, sondern ist auch ein Grossspender der Republikanischen Partei. Wenige Tage vor Trumps plötzlichem Sinneswandel hatten sich der frühere Präsident und Yass persönlich getroffen. Der Verdacht liegt nahe, dass Trump den Spender nicht vor den Kopf stoßen will. Experten schätzen, dass ein Verkauf von Tiktok die Bewertung des Bytedance-Konzerns um 25 Prozent senken würde.
Gleichzeitig wettert Trump, dass von einem Tiktok-Verbot nur Facebook profitieren würde. Mit dem sozialen Netzwerk von Mark Zuckerberg ist Trump im Kleinkrieg, weil er diesem eine Mitschuld an seiner Wahlniederlage 2020 zuschreibt. So oder so befinden sich die Republikaner im Senat nun wegen Trump in einer Zwickmühle.
Tiktok gewinnt Kellyanne Conway als Lobbyistin
Tiktok dürfte nun versuchen, ein erstes Abstimmung im Senat hinauszuzögern und ein zweites im Fall eines tatsächlichen Verbots juristische Schritte zu ergreifen. Auf dem Rechtsweg hatte es Tiktok auch geschafft, ein Verbot der Plattform im Gliedstaat Montana zu sistieren.
Die Lobbyisten der Videoplattform verstehen es bis anhin geradezu meisterhaft, Demokraten und Republikaner gegeneinander auszuspielen. Unterstützung erhalten sie dabei auch von Washington-Insidern wie Trumps früherer Regierungsberaterin Kellyanne Conway. Zudem scheut Tiktok auch nicht davor zurück, die eigenen Nutzer für Lobbyarbeit einzuspannen: Die Plattform rief diese jüngst dazu auf, sich bei ihren Kongressabgeordneten in Washington über das geplante Verbot zu beschweren. Eine Flut von Anrufen verursachte einige Abgeordnetenbüros lahm. Der Schuss ging jedoch nach hinten los: Laut Medienberichten fühlen sich zahlreiche Abgeordnete davon in ihrer Ansicht bestätigt, dass Tiktok ein zu mächtiger politischer Akteur geworden sei.
Ein Verkauf an einen amerikanischen Investor wäre ebenfalls eine Option für Bytedance. Wie das «Wall Street Journal» schreibt, hat Bobby Kotick, der frühere CEO des Videospielherstellers Activision, Interesse bekundet. Laut der Zeitung hat Kotick jüngst bei einem Abendessen dem Open-AI-CEO Sam Altman vorgeschlagen, er solle sich an Tiktok beteiligen und mit der Videoplattform seine KI-Modelle trainieren.
Der Verkauf von Tiktok würde Bytedance laut Schätzungen Hunderte Milliarden Dollar einbringen und den Konzernen einen Schlag von allen Streitereien in den USA befreien. Doch Bytedance betrachte einen Verkauf als die letzte Option, berichtet Bloomberg.
Man darf auch nicht vergessen, dass sich die USA in einem Wahljahr befinden und ein Verbot von Tiktok gerade bei jungen Wählern unbeliebt ist. Laut einer Umfrage des Pew Research Center ist der Anteil der Amerikaner, die ein solches Verbot gutheissen würden, im Verlauf des vergangenen Jahres von 50 auf 38 Prozent gefallen. Und dass Tiktok ein gutes Werkzeug ist, gab indirekt nun selbst das Wahlkampfteam des Präsidenten zu: Trotz aller Kontroversen hat Bidens Wahlkampfstab seit Februar auch ein Tiktok-Konto.
Tiktok-Chef warnt vor Verlust von 300.000 Arbeitsplätzen
Tiktok-Chef Shou Chew kündigte an, sich gegen das Gesetz wehren zu wollen. Das Unternehmen werde alles Mögliche unternehmen und rechtliche Mittel einsetzen, um die Plattform zu verteidigen, sagte er in einem am Mittwoch veröffentlichten Video.
Shou Chew verwies darauf, dass das Gesetz „einer Hand anderer Social-Media-Unternehmen“ mehr Einfluss geben werde. Der Tiktok-Chef behauptete auch, der Gesetzesentwurf gefährde 300 000 Arbeitsplätze in den USA. Seine Firma weist oft darauf hin, dass Kleinunternehmen den Dienst für Werbung nutzt. Tiktok hat nach eigenen Angaben 170 Millionen Nutzer in den USA.