Hürden in der Schweiz, Förderfreude in China: Ein chinesisch-schweizerisches Startup unterstützt vom Tech-Konflikt – und wird auch gebremst
Promovierte der ETH Lausanne stießen mit ihrer Biotech-Firma in der Schweiz auf Hürden, außerdem gehen sie ins förderfreudige China. Doch das verschreckt westliche Geldgeber, die ebenso nötig wären.
Treffen sich ein Chinese und ein Russe in der Schweiz und wollen ein Startup gründen. Die Banken sagen: „Tut uns leid, für Sie können wir kein Konto eröffnen.“ Kein Witz, Ende der Geschichte – wenn da nicht China wäre.
So schildern es Cheng Shiyu und Iwan Istomin bei einem Treffen im südchinesischen Shenzhen. Die beiden Männer Anfang 30 lernen sich an der ETH Lausanne (EPFL) kennen. Dort wurden sie in synthetischer Biologie gefördert, das Thema war die Entwicklung künstlicher biologischer Systeme für Therapien.
Danach wollte Cheng mit einer Handvoll EPFL-Alumni in der Schweiz ein Startup gründen. Es sollte eine Technologie kommerzialisieren, die er bereits im Bachelor-Studium in Peking mitentwickelt hatte. Es geht darum, aus menschlichem Zellgewebe künstliche Blutgefässe zu bauen, um Gefässkrankheiten zu behandeln, etwa am Herzen.
Chinesen und Amerikaner sind unerwünscht
Doch egal, ob in Lausanne, Genf oder Neuenburg, überall blitzten die Gründer nach eigenen Angaben bei den Banken ab. „Sie sagten, sie akzeptierten üblicherweise keine chinesischen Bürger für Firmenkonten, auch keine Amerikaner“, erzählt Cheng.
Überhaupt sei es praktisch unmöglich gewesen, in der Schweiz ein Biotech-Startup zu begründen. Schweizer Investoren seien nicht so risikofreudig. „Sie würden am liebsten erst nach erfolgreichen klinischen Studien einsteigen“, sagt Cheng. Zudem habe ich Interessenten gestört, dass die nötigen Patente damals noch der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gehört hätten, die Chengs Forschung finanziert habe.
Auch Cheng schaute sich in China um – und wurde Ende 2021 in Shenzhen mit offenen Armen empfangen. Das Bankkonto habe es ruck, zuck ohne viel Papierkram gegeben, sagt er. Seine Firma Roumai Medical sei von einer Agentur für umgerechnet 200 Franken umgehend registriert worden. Das Startkapital fand der frischgebackene CEO Cheng innert einer Woche. «Ich hatte 40 Angebote zu umgerechnet je 5 Millionen Schweizerfranken.» Bald kaufte Roumai die nötigen Patente auf.
Es ist von außen schwer zu sagen, warum genau Cheng und seine Mitgründer in der Schweiz auf Hürden stiessen. Womöglich ist ein Grund, dass Schweizer Investoren die Aussichten des Startups skeptisch als chinesische sehen. Biotech-Firmen müssen jahrelang viel Geld investieren, bis sie ein Produkt auf den Markt bringen können – bei sehr vagen Erfolgsaussichten.
Doch die Erfahrungen von Roumai Medical decken sich mit denen so mancher Schweizer Startups, die in ihrer Heimat eine gewisse Behäbigkeit und wenig risikofreudige Investoren beklagen – und deshalb auf China hoffen. Einige solcher Startups hat die NZZ kürzlich auf ein Startup-Wettbewerb in der Stadt Chongqing getroffen.
Aus China für die Welt zu produzieren wird schwierig
Der Fall von Roumai Medical zeigt, dass China für Startups zwar wie ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten mag – aber dass die China-Karte auch mit vielen Einschränkungen verbunden sein kann. Wer trotz geopolitischer Polarisierung im Westen Erfolg haben wird, der kommt um ein Standbein dort nicht herum, zumal in heiklen Hochtechnologien wie der synthetischen Biologie.
Shenzhen ist bekannt für seine Geschäftstüchtigkeit. Hier spricht man nicht nur vom chinesischen Tempo, sondern von der „Shenzhen-Geschwindigkeit“. Die erlebte auch Cheng Shiyu mit Roumai: In nur zweieinhalb Monaten sei das neue Labor für Forschung und Entwicklung fertig gewesen, ähnlich schnell die Fertigungsstätte in der Nachbarstadt Dongguan, beide international zertifiziert.
In der Schweiz, sagt Iwan Istomin, hätte das ein bis zwei Jahre gedauert. Priorität habe dort die Umnutzung bestehender Gebäude, und eine Genehmigung für einen Neubau zu erhalten, sei kompliziert. Istomin, der dieses Jahr den kleinen Roumai-Ableger in Lausanne mit gegründet hat, wo auch Cheng Shiyu wohnt, verweist außerdem auf die Kosten: Wenn in China etwas 10 Millionen Renminbi kostet, dann wären es in der Schweiz 10 Millionen Franken – rund acht Mal so viel.
Aber wie nachhaltig ist Chinas Innovationsförderung? Hier werden allerorten Technologieparks auf der grünen Wiese gebaut. Geförderte Firmen bleiben oft nur ein, zwei Jahre, dann ziehen sie weiter zur nächsten meistbietenden Lokalregierung. Manche Tech-Parks stehen selbst im langen boomenden Shenzhen leer.
Biotech hat einen eigenen Fünfjahresplan
Roumai ist auch davon überzeugt, dass China im Technologie-Konflikt mit dem Westen die eigenen Fähigkeiten enorm ausbaut. Die mächtige Behörde für Wirtschaftsplanung, die Nationale Kommission für Reform und Entwicklung, veröffentlichte 2022 erstmals einen Fünfjahresplan speziell für die Entwicklung der Biotechnologie. Darin fordert die Behörde, „globale biologische Innovationsressourcen zu sammeln“, auch ausländisches Know-how nach China zu holen.
Roumai Medical belegt nun eine halbe Etage in einem neuen Büroturm in Shenzhen, in dem die Lokalregierung günstige Medtech-Firmen einmietet. Direkt daneben ist der Campus der jungen Southern University of Technology, mit der Roumai ein Labor betreibt. 55 Mitarbeiter hat Roumai schon, bald sollen es 200 sein – der CEO Cheng zeigt stolz die leere zweite Hälfte der Etage, die dafür hergerichtet werden soll.
Marktfähige Produkte hat Roumai noch nicht, Pläne umso mehr. Das wichtigste Produkt, künstliche Blutgefässe aus gezüchtetem Gewebe, hat die Firma nach eigenen Angaben erfolgreich an Kaninchen und Schweinen getestet. Nun sind klinische Studien an Menschen geplant. Ausserdem wird Roumai bald Rohmaterialien für Schönheitsbehandlungen verkaufen: Kollagene, auch Proteine des Bindegewebes, sowie kosmetische Produkte.
Die Schweiz soll als Tor zu Europa dienen
Für diese Produkte soll die Schweiz das Tor zu Europa und schließlich zu den USA werden, den größten Märkten. Roumai betreibt bereits in Lausanne im EPFL Innovation Park und im Life-Sciences-Park Biopôle ein kleines Büro und Labor und wird von der Innovationsagentur Innosuisse gefördert. Standorte für Forschung und Entwicklung sowie Produktion sollen folgen, sagt Cheng. So will Roumai regulatorischen und ethischen Anforderungen genügen, vom Schweizer Image profitieren und nicht als chinesische Firma wahrgenommen werden.
Das Problem könnte das Geld sein. Bis jetzt hat Roumai ausschliesslich chinesische Investoren, die in Renminbi investieren. Wegen Chinas Kapitalverkehrskontrollen ist es schwierig, Geld ausser Landes zu transferieren.
Immerhin, kürzlich hatte Roumai: Die Shenzhener Regierung habe den Transfer von umgerechnet 2 Millionen Franken an den Schweizer Ableger innerhalb einer Woche erfolgreich genehmigt, sagt Cheng. «Das ging sehr schnell.» Roumai hat in der Schweiz mittlerweile ein Konto bei der Bank of China, weil es mit einer Schweizer Bank weiterhin nicht geklappt hat.
Cheng hätte gern Investitionen in US-Dollar getätigt. Es gebe dann üblicherweise mehr Geld als mit dem günstigeren Renminbi, sagt er. Doch der Markt für Dollar-Investitionen in China ist wegen des geopolitischen Konflikts mit den USA eingebrochen. Der amerikanische Risikokapitalgeber Sequoia zum Beispiel hat die Abspaltung seines China- und Indien-Geschäfts in unabhängigen Firmen angekündigt.
Singapur und Dubai sind Alternativen
Private Investoren in China hätten zudem kaum noch Bargeld, sagt Cheng. Die meisten Investitionen kommen nun von Bezirks- und Stadtregierungen in Renminbi. Die Stadt Shenzhen betreibt nach eigenen Angaben Chinas größten staatlichen Angel-Investment-Fonds. Er hat mehr als 10 Milliarden Renminbi eingesammelt, davon 1,2 Milliarden Schweizerfranken, die er zumeist über Subfonds in Technologiefirmen investiert hat.
Weil Schweizer Investoren bis jetzt zurückhaltend sind und Amerikaner aus politisch-regulatorischen Gründen kaum in eine primäre chinesische Biotech-Firma wie Roumai investieren könnten, wird Cheng Shiyu nun sein Glück versuchen: in Singapur, Dubai und Abu Dhabi. Dort werden sportliche 100 Millionen US-Dollar einsammeln, zum Bau der geplanten Schweizer Standorte und für klinische Studien in Europa. Chengs Eindruck ist, dass das Geld dort sehr locker sitzt – und einem chinesisch-schweizerischen Startup offensteht.